Zustände bei der Pfaffenwinkelbahn Weilheim-Schongau – ein verkehrspolitischer Brandbrief

Sehr geehrte Damen und Herren,

die aktuellen Entwicklungen im Bahnbetrieb, speziell auf der Pfaffenwinkelbahn Weilheim – Schongau, veranlassen mich, Ihnen diesen Brandbrief zu schreiben und in Umlauf zu bringen. Die Zustände, die die Bahnkunden zwischen Weilheim und Schongau vorfinden, sind weit von dem entfernt, was man von einer zeitgemäßen, kundenorientierten Regionalbahn erwartet. Die andauernd auftretende Probleme zwingen die Kunden, auf andere Verkehrsmittel auszuweichen. Aktuell droht sich die Lage noch weiter massiv zu verschlechtern.

Seit Sonntag (29.10.2023) ist der Streckenabschnitt Peißenberg-Schongau wieder gesperrt, ein unzureichender Ersatzverkehr mit einem (!) Pendelbus und Taxis wurde kurz darauf eingerichtet, der im DB-Navigator nicht dargestellt wird. Viele Fahrten fallen aus. Die Bayerische Regiobahn (BRB) teilt am Dienstag mit, dass die Sperrung noch bis 6.11. dauert und man sich um einen Ersatzverkehr „bemüht“. Fahrgäste fühlen sich hier allenfalls noch als lästige „Beförderungsfälle“, ganz sicher aber nicht als Kunden. Die seit Monaten bestehende Langsamfahrstelle bei Grasla wurde letzte Woche von 30 auf 20 km/h herabgesetzt. Somit ist auch die Sperrung des Abschnitts Weilheim-Peißenberg bald zu erwarten. Der Verfall wird überwacht, aber nicht bekämpft.

Schon viele Stammkunden dieser Bahnlinie sind vergrault worden, vor allem auch dadurch, dass die Anschlüsse in Weilheim sowohl nach wie auch aus München viel zu oft verpasst werden. Viele Bahnkunden fahren mittlerweile mit dem Pkw oder dem Rad nach Weilheim, um pünktlich ihr Ziel zu erreichen. Jede Reparatur oder Baumaßnahme geht einher mit monatelangen Sperrungen und schlecht organisierten Ersatzverkehren, eine zeitliche Zusammenlegung von Maßnahmen wird vermieden und so der Schaden für die Bahnkunden maximiert.  Die Investitionen in neue Bahnsteige oder in das elektronische Stellwerk Peißenberg muten geradezu grotesk an, wenn gleichzeitig die übrige Infrastruktur dem Verfall preisgegeben ist. Das Sammelsurium an Leit- und Sicherungstechnik, insbesondere der „technisch unterstützte Zugleitbetrieb“ zwischen Peißenberg und Schongau führt zu absurd niedrigen Streckengeschwindigkeiten von 60 km/h und zu Langsamfahrstellen. Der Unfall in Peiting Ost vom 10.1.2023 hat offenbart, wie untauglich diese Technik für einen modernen Regionalbahnbetrieb ist. Die Errichtung des elektronischen Stellwerks in Peißenberg und der Sicherung des Bahnübergangs Kugelsbühl bzw. die Auflassung des Übergangs bei Grasla hat nicht dazu geführt, dass die Streckenhöchstgeschwindigkeit von Weilheim bis Peißenberg wenigstens auf durchgehend 80 km/h erhöht wurde. Mit anderen Worten: man hat viel Geld ausgegeben und dabei Null-komma-Null Nutzen für die Fahrgäste geschaffen.

Dass zur Erlösmaximierung verpflichtete Aktiengesellschaften sich nicht für die Daseinsvorsorge einer ländlichen Bahninfrastruktur engagieren (dürfen), mag ja noch erklärbar sein. Dass aber der öffentliche Aufgabenträger, der Freistaat Bayern mit seinen Ministerien und die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) als ausführendes Organ diese Zustände offenbar dulden, macht mich schon fassungslos. Die BEG ist schwach aufgestellt, hat keinen Durchgriff auf die Infrastruktur und kann die Vielzahl von Ersatzverkehren und die Baustellenkommunikation nicht in dem notwendigen Maß überwachen. Dazu passt dann auch eine Aufsichtsbehörde (EBA), die dem Treiben tatenlos zusieht und kein Interesse an einem zuverlässigen Bahnbetrieb zeigt.  Aktuell schleicht sich eine Schlampigkeit bei der Abwicklung der Baumaßnahmen ein, die durch fehlende Aufsicht auch von Seiten des Freistaats quasi „geduldet“ wird und von den Kunden dann „erduldet“ werden muss. Der „schwarze Peter“ wird munter zwischen den Verantwortlichen auf allen politischen Ebenen und zwischen den Behörden und Unternehmen hin- und hergeschoben. Zumindest die Verantwortungslosigkeit ist in der Bahnbranche bestens organisiert.

Die Politik empört sich gerne auch mal, obwohl fast alle beteiligten Parteien über Jahrzehnte in Bund und Land eine Verkehrspolitik verantwortet haben, die das Eisenbahnwesen in Deutschland ruiniert hat. Jeder Kabarettist hat mittlerweile eine Nummer über die Deutsche Bahn im Programm, mit der er sich der Lacher sicher sein kann. Das Beispiel anderer Länder zeigt, dass mit entsprechenden politischen Weichenstellungen auch eine ordentliche Eisenbahn möglich ist. Dennoch versuchen manche Politiker die Forderung nach einer bahnfreundlichen Verkehrspolitik mit der Aussage abzuwürgen, man „dürfe die Verkehrsträger nicht gegeneinander ausspielen“. Das ist eine besonders perfide Argumentation, weil sie die Realität auf den Kopf stellt und so tut, als ob der aktuelle Zustand der Eisenbahninfrastruktur das Ergebnis einer Bevorteilung der Schiene wäre! Die Wahrheit – am Beispiel der Pfaffenwinkelbahn aufgezeigt – ist genau das Gegenteil: Gut 100 Millionen Euro wurden den Ausbau der Bundesstraße zwischen Peißenberg und Schongau gesteckt, die parallel Bahnlinie wurde dagegen sträflich vernachlässigt. Wer hat hier wen gegen was ausgespielt?

Die Menschen wollen einfach nur pünktlich und zuverlässig morgens in ihre Arbeit kommen und abends zur geplanten Zeit wieder daheim ankommen, und das würden sie gerne auch mit dem Zug tun. Dieser einfache Wunsch stellt unser Land aber offenbar vor eine unlösbare Herausforderung. Statt großspuriger Ankündigungen und „technologieoffenen“ Experimenten sollte besser das bescheidene Ziel ausgegeben werden, den Bahnbetrieb so sicher und zuverlässig zu machen, wie er schon einmal war. 

Die Zustände auf der Pfaffenwinkelbahn und im Werdenfels können auch nicht mehr als „bedauerlichen Einzelfälle“ kleingeredet werden: Ein Blick in die sogenannte „La“, dem Verzeichnis der Langsamfahrstellen im Netzbereich Süd der DB Netz AG zeigt: Seit Juli 2022 hat die Zahl der Langsamfahrstellen aufgrund von Infrastrukturschäden um 75 Prozent zugenommen, Tendenz steigend.  

Viele Bahnkunden haben wenig Hoffnung, dass sich die unwürdigen Zustände kurzfristig bessern werden. Ein echter Wille, durch grundlegende Reformen die Eisenbahn wieder zu einem Vorzeigeunternehmen in Deutschland zu machen, ist aktuell weder bei der Politik noch bei den Unternehmen erkennbar, wie man an der halbherzigen Umsetzung einer gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft sieht. Viele Interessen und Besitzstandswahrungen werden hier berücksichtigt, am wenigsten aber die Anliegen der Bahnkunden.

So gering die Aussichten auf eine kurzfristige Besserung bei der Pfaffenwinkelbahn auch sein mögen, so gestatten Sie mir noch ein paar Wünsche:

  1. Mehr Transparenz: Die Bürger haben ein Recht darauf, den Zustand der Infrastruktur ihrer Bahn zu kennen. Welche Probleme kommen da auf uns Bahnkunden noch zu? Gibt es einen Plan, die Strecke dauerhaft zu sanieren? Baustellenplanungen sollten offengelegt werden, damit die Kunden sich darauf einstellen können, und nicht scheibchenweise kurzfristig angekündigt werden. Geheimniskrämerei schafft nur Misstrauen.
  2. Kritikfähigkeit und Glaubwürdigkeit:  Das System Bahn hat bei den Stammkunden viel an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren. Wenn Sie die Kunden und ihr Vertrauen wieder zurückgewinnen wollen, müssen Sie belastbar darstellen, mit welchen Maßnahmen in der Zukunft ein sicherer und zuverlässiger Bahnbetrieb sichergestellt wird. Noch ist der notwendige Paradigmenwechsel für uns nicht erkennbar. Da wäre vor allem die Instandhaltungsstrategie bei DB Netz, die nicht präventiv, sondern allenfalls korrektiv durchgeführt wird, in Anbetracht der Mangellage aber vor allem mit der Verhängung von Langsamfahrstellen und Sperrungen arbeitet. Der Aufgabenträger und die Politik dürfen die Bahnunternehmen dabei nicht alleine lassen. Der erste Schritt dazu ist es, die Fehlentwicklungen sich selbst und den Kunden gegenüber einzugestehen.
  3. Ehrlichkeit statt Marketingsprüche: Die Notreparaturen und Sperrungen im Werdenfelsnetz in ein „Investitionsprogramm“ umzumünzen, mag eine propagandistische Meisterleistung sein. Es ist aber nur das überstürzte Nachholen unterlassener Instandhaltung. Auch die Freude über die vor Wahlen öffentlichkeitswirksam abgeschlossenen Planungsvereinbarungen wird schnell zur Enttäuschung, wenn die Maßnahmen erst in 20+x Jahren umgesetzt werden sollen.
  4. Verantwortung übernehmen: Die Bahnkunden interessiert es irgendwann nicht mehr, wer „schuld“ ist, niemand will langwierige Erklärungen hören, warum alles ganz schrecklich ist, aber man selbst nichts dagegen tun kann. Keinesfalls darf man den Infrastrukturunternehmen alleine die Schuld am desaströsen Zustand des Schienennetzes gegeben. Der Bund als Eigentümer, die Länder als Aufgabenträger, Aufsichtsbehörden und die politischen Parteien bestimmten die letzten Jahrzehnte die Rahmenbedingungen für den Schienenverkehr. Die juristische Aufarbeitung des Unfalls von Burgrain lässt jetzt schon befürchten, dass man ein paar Eisenbahner als Bauernopfer vor Gericht darbringen wird, während sich Politik und Bahnmanagement einen „schlanken Fuß“ machen, um anschließend das „business as usual“ fortzusetzen. Die notwendige politische Aufarbeitung wird vermieden – warum?

Ich hoffe, dass ich mit diesen Ausführungen nicht die Gefühle der vielen Gutwilligen in der Bahnbranche und in der Politik verletzt habe, in diesem Fall möchte ich mich aufrichtig dafür entschuldigen. Viele von Ihnen pflegen mit PRO BAHN ja einen wertschätzenden Dialog und das soll auch so bleiben.  Trotz all dem angestauten Frust bleibt immer noch ein bisschen die Zuversicht, eines Tages mit einer modernen Regionalbahn störungsfrei von Weilheim nach Schongau und vielleicht sogar weiter bis Landsberg zu reisen.

Mit freundlichen Grüßen

Norbert Moy, PRO BAHN Oberbayern


Der Brief ging an die Infrastruktur- und Eisenbahnverkehrsunternehmen, das EBA, die BEG, an die Bürgermeister, MdL’s und an einen MdB (Dobrindt) und an die Medien.

1 Kommentar

    • Roland Brendel, 82362 Weilheim auf 6. November 2023 bei 20:49
    • Antworten

    in meinem Artikel zur Bahn AG hier habe ich aufgezeigt, wie es zum heutigen Zustand kam. Das Desinterresse der Autofahrer- Regierenden schlägt auf „Abzweigstrecken“ besonders durch. Leider.

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