Weckruf des Papstes

Oha Titel Papst

Laudato sì’ (LS) – die fast ein Jahr »junge« Enzyklika von Papst Franziskus (Foto: Pixabay: CC0, Montage OHA)

Einige wenige verprassen das gemeinsame Erbe der gesamten Menschheit (LS 92)

Trotz der 220 Seiten ist die Enzyklika »Laudato si’ – über die Sorge für das gemeinsame Haus« ein klar formuliertes, aufrüttelndes Dokument, das weltweite Umweltsünden aufzählt und die Verantwortung von Politik und Wirtschaft anprangert. »Laudato si’« (LS) ist in ganz besonderem Maße eine unvoreingenommene Darstellung der aktuellen Lage unseres Planeten. Sie wendet sich nicht nur an gläubige Christen, sondern an alle Menschen, und lädt zum Dialog über die drängenden ökologischen Herausforderungen ein.
LS ist eine schonungslose Analyse der Schäden, die wir Menschen und Ressourcen zugefügt haben, aus Besessenheit von dem Handlungsmodell der »Wachstumsgesellschaft«. Vor diesem Modell hat mittlerweile die Politik vor der Wirtschaft und die Wirtschaft vor der Technologie kapituliert. Prof. Dr. Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung dazu: »Wenn 60 der reichsten Menschen der Welt so viel besitzen wie die ärmere Hälfte der Menschheit, sprich mehr als dreieinhalb Milliarden, dann ist es doch keine komplette Erfolgsgeschichte. Und wir müssen uns überlegen, ob wir diesen Pfad weiter beschreiten wollen.«

Das wirklich Neue an dieser Enzyklika?

Die katholische Kirche stellt gleich zwei Dogmen in Frage. Das eine Dogma lautet: »Macht euch die Erde untertan!« Das ist im christlich-jüdischen Glauben als Erlaubnis zur grenzenlosen Ausbeutung der Erde gewertet worden. Das zweite Dogma betrifft die Rolle des Papstes, der in diesem Lehrschreiben die päpstliche Unfehlbarkeit selbst in Frage stellt!

Zur kirchlichen Lehrmeinung gehört nunmehr unmissverständlich, dass der Klimawandel von Menschen gemacht ist und dass es daher auch in der menschlichen Verantwortung liegt, dagegen etwas zu tun. Umweltverschmutzung, Klimawandel, Wasserverfügbarkeit und -zugang, Rückgang der Biodiversität, mit dem daraus folgenden Verlust an menschlicher Lebensqualität, sozialen Zerfall, und der wachsenden Ungerechtigkeit in einem Meer von Gleichgültigkeit und scheinbarer Ohnmacht. Beispiel Kohleförderung und -verbrennung in Polen! Franziskus’ Meinung dazu erfährt aus dem offiziellen Polen massive Kritik. Warum? Weil Polen diesen Rohstoff von Mutter Erde massiv ausbeutet, damit die Bevölkerung im Winter Wärme hat. Nicht aus dem Strom der Atomkraft, aber aus Ausbeutung der Natur.

Der Papst schreibt in einfacher Sprache, aber am Puls der Zeit, in keinem Fachjargon und somit jeder und jedem zugänglich.

Was bedeutet diese krachende Wachstums- und Kapitalismuskritik für mich, für uns, vor Ort?

Konkret! Brauche ich als Konsument tatsächlich jedes neue Produkt, das mir ein geschicktes Marketing als »nice to have« zum x-ten Mal und immer wieder aufs Neue zum unbedingten Kauf einredet? Welche Kosten gehen damit einher? Kosten – nicht nur monetär verstanden? Richte ich mein Handeln weiterhin nach dem persönlichen, egoistischen Interesse aus und handle noch dazu auf Kosten der Allgemeinheit?

Mit der Verantwortung gegenüber dem Nächsten meint Franziskus die soziale Gerechtigkeit und die Verantwortung gegenüber der Schöpfung, die ökologische Gerechtigkeit, und die muss immer mitschwingen, bei jeder Einzelentscheidung. Das gilt natürlich für den Privathaushalt, aber auch kein bisschen weniger für die Entscheidungen in der Kommunalpolitik, eines Stadtrats oder eines Kreistags. Hellhörig werden heißt es immer dann, wenn »von richtig viel Geld« die Rede ist, bei Neuinvestitionen, ebenso bei jedem neuen Bauvorhaben in puncto Flächenverbrauch oder mit Steuergeldern für Maßnahmen mit null Nachhaltigkeits­charakter, versteckt in praktisch jedem gemeindlichen oder städtischen Finanzhaushalt.

Foto Alfred Honisch

Alfred Honisch, Weilheim

Von Hans Magnus Enzensberger, dem Gesellschaftskritiker, stammt er zwar nicht, der leidenschaftliche Vorwurf von der bereits „geplünderten Demokratie“, aber seine Behauptung, wonach Politik „ständig zu Entscheidungen gezwungen ist, deren Folgen nicht absehbar sind“, macht eines deutlich. Sozial-ethisches Nachdenken kommt nicht mehr aus, ohne dass Christenmenschen – nein jeder! – Franziskus’ Dimension von Verantwortung berücksichtigt. Nachhaltigkeit ist seit einem Jahr kirchliche Lehre. Kein »Wir sollten« mehr, sondern ein »Wir müssen!«

Papst Franziskus resümiert am Ende: Mit »Laudato si’« habe er eine „frohe und zugleich beunruhigende Überlegung“ angestellt. Für Carlo Petrini, Präsident und Gründer von Slow Food, und – wie er sagt – ein nicht-gläubiger Leser, überwiegt dennoch das Hoffnungsvolle, nämlich die Freude, an einen revolutionären Wandel und an eine neue Menschlichkeit glauben zu können.

Alfred Honisch, Weilheim

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