Es ist an der Zeit, vielschichtiger und konstruktiver miteinander zu diskutieren, der Austausch der Argumente darf nicht so schubladenhaft stattfinden, dass immer die gleichen Argumente ausgetauscht werden. Da können wir von Wissenschaftlern lernen, die Thesen immer wieder an der Realität überprüfen und entsprechend anpassen.
»Vertigo days« heißt das neueste Album der Weilheimer Indiband »the Notwist«, weltweit bekannt, bei uns leider zu wenig. Es zeigt, dass Kunst etwas kann, das mit Worten nie so tiefgehend ausgedrückt werden könnte. Ein wichtiger Beitrag in Corona-Zeiten, der zeigt, wie unverzichtbar Kunst und Kultur für unser soziales Leben ist. Leider werden aber gerade Künstler*innen durch die Maßnahmen gegen die Pandemie gerade so behandelt, als ob sie verzichtbar, nicht »systemrelevant« seien. Entschädigung als Künstler*in zu bekommen, ist weit schwerer, als etwa für Gastronomen. In nicht systemrelevanten Waffenfabriken, Fleischfabriken und anderen Großbetrieben durfte weitergearbeitet werden; der DAX ging durch die Decke; der Einzelhandel stand still. Viele Ungerechtigkeiten zeigten sich während des letzten Lockdown.
In einem Interview zu ihrem Album »Vertigo days« vergleichen die drei Bandmitglieder, die Brüder Acher und Cico Beck die Gefühlslage ihrer Musik mit dem Gefühl, wenn man nach dem Aufwachen noch einmal in einen unklaren Zustand zwischen Traum und Realität fällt, in der das Undenkbare denkbar wird. Was für ein großartiger Beitrag der Kunst zum Thema Nr. 1. Unsere unterschiedliche Reaktion auf das Phänomen zeigt eben, wie schwindlig uns die völlig ungewohnte Erfahrung mit einer viralen Bedrohung macht. Zu vereinfachen gibt es da nichts.
Manche der OHA-Macher*innen verarbeiten diese schwindelerregende Zeit aber nach wie vor eher als bloßen Schwindel der »herrschenden Politik« bzw. der »Systempresse«, oder – um bei Musiktiteln zu bleiben – als eine Art »Great Corona Swindel« (etwas verfälschter Titel der Sex Pistols). Ihr meint, das Problem sei, dass es kein Problem gäbe.
Schon der Hinweis auf S.1 auf den großartigen Artikel von Heribert Prantl wird angekündigt als wichtig in einer Zeit, in der die »herrschende Politik Zwangsmaßnahmen verordnet«. Was soll herrschende Politik heißen in einer Zeit, in der das gesamte Spektrum der Politik (und die Mehrheit der »Beherrschten«) sich einig waren über die Notwendigkeit von Maßnahmen, nur über Einzelmaßnahmen kontrovers diskutiert – Ausnahme natürlich ist die AfD, ein paar ganz Rechte in CDU/CSU und die Resterampe der DDR-Nostalgiker in der Partei die Linke. Prantl als guter Kenner der Verfassung räumt dem Grundrecht auf »Unversehrtheit der Person« (Art. 2 Abs.2 GG) den gleichen Rang ein, wie den Freiheitsgrundrechten, fordert nur, dass stets geprüft werden muss, wann deren Einschränkung unverhältnismäßig oder gar zum Selbstzweck wird. Und das ist richtig. Einzelkritik ist zu vielen Maßnahmen angebracht und notwendig.
Auch wenn die OHA-Macher*innen mit drei wirklich guten und differenzierten Leserbriefen auf S. 14 in der Februar- und einem in der Märzausgabe einen Schritt zurück zu einer ausgewogenen Berichterstattung gemacht haben, ist deren eigene Meinung wohl weiterhin leider fest zementiert. Deshalb ärgern mich deine Anführungszeichen, lieber Sigi Müller, auf Seite 12 bei den „Experten Drosten, Lauterbach und Montgomery“. Im Gegensatz zu uns beiden sind es nun einmal Experten, ob dir ihre Analyse oder ihre Nase gefällt oder nicht. Es geht eben nicht darum, was uns bei Analysen gefällt, sondern was notwendige Folge der jeweiligen Analyse ist, erst darüber lässt sich streiten. Dein Beitrag, liebe Renate Müller, auf Seite 10 verstehe ich so, dass für dich alle erwähnten Einschränkungen willkürlich sind.
Jetzt experimentieren die Regierungen von Bund und Ländern unter dem Eindruck von Wahlen und Ringen um die Kanzlerkandidatur mit Öffnungen, entgegen dem Rat vieler Virologen, aber zur Freude des Mittelstandes und der Kleinunternehmer, die – im Gegensatz zu Großkonzernen – unter den Öffnungen massiv litten und oft keine Entschädigungen erhielten. Ein notwendiges Spiel mit dem Feuer? Mir fehlt da die Sicherheit der Leugner*innen.
Meine große Bitte daher an euch, da Kritik oder Fakten ignorieren einfach ist, aber konstruktive Kritik gefragt ist: Wenn ihr Merkel, Spahn oder Söder wärt, welche Experten (ohne Anführungszeichen) würdet ihr zu Rate ziehen und welche Maßnahmen würdet ihr aufheben, welche belassen? Wie würdet ihr die Grundrechtsabwägung zwischen den Freiheitsrechten und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit vornehmen? Ich würde mich freuen, das im nächsten OHA zu lesen, damit ich euch in diesen vertigo days besser verstehen kann.
Jürgen Arnold, Oberhausen
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