Wachstum, was sonst?

Dr. Anton Prestele, Penzberg

Dr. Anton Prestele, Penzberg

Wachstum heißt das Zauberwort, das mantramäßig landauf, landab ertönt. Warum? Weil niemand auf einen Teil dessen, was er hat, verzichten will. Von Zuwächsen lassen sich leichter ein paar Brosamen abgeben als vom Besitz. Wachstum wird’s schon richten …

Viele Wachstumsprozesse folgen einer exponentiellen Gesetzmäßigkeit. Nehmen wir das bekannte Beispiel der Seerose auf einem Teich, deren Blattfläche sich jeden Tag verdoppeln möge. Nach 30 Tagen sei die Wasseroberfläche zugewachsen. Frage: Wann war die Oberfläche erst halb bewachsen? Die Antwort liegt auf der Hand: nach 29 Tagen. Das Beispiel macht deutlich, was einmal so formuliert wurde: Beim exponentiellen Wachstum geschieht das Wesentliche am Schluss.

Es gibt genügend Anzeichen dafür, dass wir auf der Erde in einer vergleichbaren »Schlussphase« leben. Die Erdbevölkerung hat das zuträgliche Limit fast erreicht, die weltweit agierenden Konzerne wachsen und wachsen, der Energieverbrauch brummt, der CO2-Ausstoß sowieso, Weltmeere werden überfischt, Regenwälder werden abgeholzt usw. usf. Und die Entwicklungs- und Schwellenländer wollen mit den Industriestaaten gleichziehen, wenigstens einigermaßen.

Immer mehr besorgte Beobachter warnen vor einem drohenden Kollaps, andere hingegen wiegeln ab. Ist alles wirklich so schlimm, wie man uns weismachen will? Seit einigen Jahren hat sich eine höchst interessante und hilfreiche Messgröße etabliert: der von Wackernagel und Rees entwickelte sog. ökologische Footprint. Er ist eine hochaggregierte Maßzahl dafür, wie viel »Fläche« die Staaten, die Kommunen, ja sogar der einzelne Mensch für alle ihre Bedürfnisse benötigen bzw. »verbrauchen«. Er hilft uns, die Situation, in der wir uns befinden, richtig einzuschätzen, denn er zeigt, „ … dass wir die biologische Grundlage unseres Lebensunterhalts deutlich schneller verbrauchen, als sie erneuert werden kann“. Man spricht von »Overshoot«. Doch liefert der Footprint keine Handlungsstrategien, diese müssen von den Verantwortlichen, von den Entscheidungsträgern und von uns selbst, gefunden werden.

Footprint„Nach Footprint-Berechnungen übernutzte die Menschheit die Biokapazität des Planeten im Jahr 2006 bereits um 44 Prozent.“ Das heißt, die Menschheit benötigte jährlich eine Biokapazität, die der von 1,4 Erden entspricht, Tendenz steigend. Würden alle sieben Milliarden Menschen den Lebensstil eines durchschnittlichen Europäers beanspruchen, bräuchten wir die Biosphäre von etwa drei Planeten, um alles Gewünschte bereitzustellen. Würden sie sich am durchschnittlichen US-Amerikaner orientieren, bräuchten wir fünfmal den Planeten Erde, so Wackernagel.

Das Prekäre ist, dass die Übernutzung der Biokapazität schleichend eintritt und zunächst nur für ärmere Menschen spürbar wird. Reiche Länder haben viele Möglichkeiten, sich den Engpässen eine Zeitlang zu entziehen. Sie kaufen Biokapazität von außen hinzu, und sie werden immer höhere Preise dafür bezahlen.

Das kleine Buch von Mathis Wackernagel »Der Ecological Footprint« ist eine spannende Lektüre, auch wenn der Autor auf jegliche Horrorszenarien verzichtet. Es müsste Pflichtlektüre für alle sein, die politisch Verantwortung tragen, sei es international, national oder auch auf kommunaler Ebene. Ehe große Projekte in Angriff genommen werden, müsste an Hand des damit verbundenen Footprints ermittelt werden, ob sie auf lange Sicht vertretbar sind.

Wer seinen persönlichen Footprint ausrechnen lassen will, kann dies u. a. auf den Internetseiten www.footprintcalculator.org oder www.mein-fußabdruck.at tun. Man braucht nur wenige Fragen ehrlich zu beantworten und erfährt dann zum Beispiel, dass man einen Lebensstil hat, der in seiner Konsequenz dem Verbrauch von zwei oder gar drei Planeten Erde entspricht. Und dann beginnt man ernsthaft nachzudenken.

Wir kommen nicht drum herum, wir werden unsere Konsumgewohnheiten, unseren Energieverbrauch, unseren Lebensstil insgesamt einer gründlichen Prüfung unterziehen müssen. Wollen wir wirklich immer nur Wachstum zu Lasten der Natur, der Umwelt, der Lebensqualität? Der reiche Norden wird nicht auf Dauer auf Kosten der Entwicklungsländer leben können, die Schwellenländer reklamieren ihr Recht zum Aufholen, der Ressourcenverbrauch wird zunächst einmal deutlich zunehmen.

Al Gore, ehedem Vizepräsident der USA und Friedensnobelpreisträger, hat als erster einen Global Marshallplan zu Gunsten der unterentwickelten Länder vorgeschlagen. Der Gedanke wurde von anderen aufgegriffen, so auch von Radermacher, der sagt, jeder einzelne Staat stehe in der Pflicht, seinen CO2-Ausstoß so weit zu verringern, dass eine Klimakatastrophe verhindert wird. Damit jedoch der unterentwickelte »Süden« eine realistische Chance hat, müsse vom reichen Norden doppelte Zurückhaltung verlangt werden. Er werde seinen CO2 Ausstoß in weit stärkerem Maß zurückfahren müssen, als ohnehin von allen verlangt wird, damit die Entwicklungs- und die Schwellenländer zunächst einmal auf ein vergleichbares Entwicklungsniveau kommen können. Nach seinen Berechnungen hätte die Menschheit eine durchaus realistische Chance, dass die inzwischen mehr als prekäre Situation nicht im Chaos endet, sondern in einen stabilen Zustand einmünden kann. Wenn man allerdings die Minimal-Ergebnisse des Klimagipfels vom Dezember 2012 in Doha betrachtet, mögen Zweifel erlaubt sein, ob die Zeit für ein Modell im Sinne Radermachers schon reif ist. Dabei ist das CO2-Problem nur ein Teilaspekt der immer weiter zunehmenden Übernutzung der Biokapazität unseres Planeten. Wie lange wird die Erde den Raubbau noch tolerieren?

Dr. Anton Prestele

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