W wie … Wunder

Irmgard Deml, Weilheim

Anfang 1970 kam im Zuge des damaligen Eurovisionsfestivals ein Lied von Katja Ebstein in die Welt: „Wunder gibt es immer wieder, heute oder morgen können sie gescheh’n. Wunder gibt es immer wieder, wenn sie dir begegnen, musst du sie auch seh’n. …“

Diese Zeilen gehen mir immer wieder mal durch Kopf und Herz, denn uns begegnen täglich Wunder. Kleinere und größere, je nach Perspektive. Für mich selbst ist ein Stein ein Wunder, ebenso wie Gras, ein Käfer und was die Natur sonst noch an Einmaligem für uns bereit hält. Ob belebt oder „unbelebt“.

Eines der größten Wunder – neben Mutter Erde und dem Sternenzelt am Himmel – stellt die Entstehung jeglicher Art von Leben dar. Wer sich näher damit befasst, kann darüber nur staunen. Wie sich beim Säugetier Mensch Ei- und Samenzelle im Körper der werdenden Mutter treffen, Schritt für Schritt, Zelle für Zelle, daraus ein Embryo, dann ein Kind entwickelt und dass sich dieses nach neun Monaten meist gesund in die Welt wagt. Unausweichlich. Denn es geht stets vorwärts, niemals rückwärts und Stillstand gibt es im Leben ja auch nicht. Dann wäre es kein Leben mehr. Ist das Kind geboren, setzt sich das Wunder in folgenden Stationen fort: Säugling, Kleinkind, Schulkind, Teenager, Erwachsener, reifer Mensch, Abschied aus dieser Welt in eine andere. Und vom ersten bis zum letzten Atemzug ist lernen unabdingbar, wobei die Geburt eigener Kinder mit zu den größten Lernprozessen gehört.

In einem Leben von – sagen wir mal achtzig Jahren – gibt es unzählige Dinge zu entdecken und zu verstehen. Jedes Dasein gestaltet sich einmalig, es gibt keinen zweiten Menschen, dessen Lebensgeschichte genau so verläuft wie die eigene. Weshalb wir auch einen anderen und dessen Tun und Lassen wohl nie ganz begreifen können. Ansätze sind teils vorhanden, Verständnis dafür am ehesten wenn wir selbst in gleicher oder ähnlicher Situation sind oder waren

Dies ist enorm wichtig wenn es darum geht, dass manche Personen für eine „Tat“ verurteilt werden. Es gibt selbstverständlich nicht für alles eine Entschuldigung, jedoch gibt es immer Ursachen, die betrachtet werden müssen. Gehen wir nochmal zurück zur Entstehung menschlichen Lebens. Dieses Wunder, so oft sich auch werdende Eltern darüber freuen mögen, ist für manche Mädchen oder Frauen einfach nur ein Schock. Ein nicht geplantes Kind. Vielleicht sogar noch trotz Verhütungsmaßnahmen? (Die weltweit viel zu wenig genutzt werden, obwohl sie vermutlich helfen könnten, einen Großteil menschlichen Elends zu vermeiden.) Was tun? Wer ermisst die Verzweiflung eines jungen Mädchens, das sein Leben plant und in seinem Elternhaus, vielleicht sogar vom werdenen Vater keine Unterstützung bekommt? Oder der sich aus dem Staub macht? Wer sieht die Ängste einer Frau, vielleicht alleinstehend, arm und mit sich selbst oder bereits in einer Beziehung mit mehreren Kindern überfordert? Oder gar mit einem Partner, der gewalttätig ist? Vielleicht geschah die Zeugung bei einer Vergewaltigung, deren Folgen eine Frau zudem als lebenslängliche psychische Belastung mit sich trägt?

Jesus, der vermutlich nicht für Abtreibung war – es geht nicht aus den bekannten Aufzeichnungen über ihn hervor –, sagte laut Bibel: „Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein.“ Und damit komme ich zu einem Zitat unseres beliebten Papstes Franziskus, der der Meinung ist, Abtreibung sei Auftragsmord. Hier kann ich nur sagen:

Sehr geehrter Papst Franziskus, kein anderer Mensch kann und darf einem Mädchen, einer Frau die Entscheidung abnehmen, ob sie dieses Kind austragen, zur Welt bringen, eventuell dann zur Adoption freigeben möchte. Beratung unbedingt, Bevormundung keinesfalls! Ihr Vergleich ist meiner Meinung nach völlig unzulässig, da sich die Beweggründe für das eine oder andere kaum vergleichen lassen. Auf der einen Seite in den allermeisten Fällen jemand, der für sich selbst und das werdende Leben in sich keinen wirklichen, gangbaren Weg für ein Leben in Liebe und Würde sieht. Auf der anderen Seite jemand, der kaltblütig plant und Menschen aus dem Weg räumt, weil er etwas haben oder auch nicht haben will. Und dafür gibt es dann sogar noch eine Prämie. Was haben diese beiden Gesichtspunkte gemein??? Zudem braucht es für eine Schwangerschaft immer zwei, wobei sich leider sehr viele (werdende) Väter aus der Verantwortung ziehen, keinen Unterhalt bezahlen und nicht selten dann mit einer anderen Frau eine Familie gründen.

Auch ich bin keine Freundin der Abtreibung, denn mir ist klar, dass eine Entscheidung gegen das Kind für die allermeisten schwangeren Frauen eine andauernde Belastung darstellt. Die Frage, ob dann die Freigabe von »eigen Fleisch und Blut« für eine Adoption die bessere Lösung ist, lässt sich ebenfalls so nicht beantworten. Wie viele Frauen haben sich, nachdem sie ihr Kind geboren hatten, entgegen allen vorher erwogenen Gründen dafür entschieden, es doch bei sich zu behalten? Nur: Wie ging es beiden dann damit? Mutter ist man schließlich nicht ein paar Tage oder Wochen sondern sein ganzes Leben lang. Ein Kind ist kein Hund, den manche einfach ins Tierheim bringen wenn sie nicht damit zurechtkommen. Zudem wird ein Adoptivkind vermutlich immer die Frage an die Mutter stellen: „Weshalb hast du mich weggegeben?“ Bei vielen Männern und Frauen bleibt zumindest ein feiner Stachel im Herzen, weil sie die eigene Mutter nicht „haben wollte“. Auch wenn der Verstand die Gründe vielleicht sogar nachvollziehen kann.

Und nicht zuletzt ist eine Adoptivfamilie keine Garantie für ein glückliches Leben. Eine Amerikanerin schrieb ein Buch über die Freigabe ihres Mädchens zur Adoption. Denn eines Tages erfuhr sie durch die Presse, dass ein Ehepaar sein Adoptivkind derart misshandelt hatte, dass es starb. Und dieses Kind war ihre Tochter. Welche Vorwürfe macht sich wohl diese Mutter?

Es kann immer nur nach intensiver Beratung die individuelle Entscheidung des Mädchens, der Frau, sein. Denn: Jeder Mensch hat das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Und bei Entscheidung für das werdende Leben trotz Notlage muss für viele Jahre im Voraus entsprechende Unterstützung in jeglicher Hinsicht fest zugesagt sein. So kann ich abschließend nur hoffen, dass sich die Situation für Betroffene weitestgehend mit viel Hilfe anderer klären lässt.

Irmgard Deml, Weilheim

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