Hier wie dort ist Weihnachten vergangen. Was in Deutschland der Winter, ist in Haiti die Trockenzeit. Das sind die Monate von Weihnachten bis März oder April des neuen Jahres. Die im Sommer mindestens einmal täglich prasselnden Regenschauer nehmen, wenn nicht gerade ein Hurrican durchzieht, die Monate vorher langsam ab. Bis Mitte Dezember, wenn es gut geht, füllen ein, zwei kurze Schauer noch einmal die Zisternen.
Vor kurzem habe ich jemanden gesprochen, der in den Bergen oben, während des Zyklons SANDY seinen Regenmesser überwacht und die Ergebnisse summiert hatte. Die Zahl kann ich bis heute kaum glauben: in 5 Tagen hat er 1700 mm, also 1,70 m! Regen verzeichnet. Wenn diese Ziffer stimmt, wundert es mich noch weniger, dass seitdem »meine« Straße zum Projekt ihren Namen wirklich nicht mehr verdient. Einige Wochen allein hat es gedauert, bis die Stellen, wo sie einfach weggespült war, notdürftig repariert waren.
Dass mit solchen Wassermengen an den Steilhängen die Fruchtbarkeit der Böden auch dahin ist, wundert nicht. In den karstigen Bergregionen muss der Vorrat an Wasser sowie die im Herbst eingebrachte Ernte (Mais, Bohnen, Kartoffeln und anderes Wurzelgemüse) bis in das Frühjahr reichen, denn neues Grün sprießt erst wieder mit dem ersten Regen.
An Weihnachten schon, und mit dem Fest besonders, klagen die Bauern der Region über Hunger. Was unser Projekt dagegen derzeit unternimmt, ist großzügiger als geplant »cash for work«-Arbeiten zu vergeben. Mit dem verdienten Geld können die Leute auf dem lokalen Markt importierten Reis, Nudeln oder Öl kaufen. Wichtig ist uns, dass wir nicht direkt Nahrungsmittel verteilen, denn das würde die funktionierende Importwirtschaft und die existierenden Handelsketten beeinträchtigen sowie die Leute noch direkter abhängig von Almosen der Projekte machen. Bei der Vergabe der Arbeiten achten wir darauf, dass nicht nur die fittesten und geeignetsten Menschen, sondern auch gezielt ärmere oder schwächere Leute zum Zug kommen. Wenig dagegen zu sagen ist meines Erachtens, dass der Staat en gros importierte Lebensmittel kostenlos in den Markt schleust, um den Preisanstieg einiger Grundnahrungsmittel zu mildern. Zwar würde ein allgemeiner Anstieg der Erzeugerpreise die haitianische Landwirtschaft fördern. Doch um dann die ganz armen Leute von den teureren Lebensmittelpreisen auszunehmen, bräuchte es ein funktionierendes Steuersystem. Solange es das nicht gibt, sind subventionierte Lebensmittel ein Weg, eine minimale Grundversorgung für alle zu ermöglichen. Die Subventionen sind ein Abflussweg für die Hilfsgelder, denn sie werden aus dem Staatsbudget bezahlt, das wiederum zu einem großen Teil aus Entwicklungshilfegeldern stammt.
In Port au Prince ist Weihnachten, wie bei uns, das Fest der Geschenke und des Essens. Geschenke dienen stärker noch als bei uns der Pflege von Freundschaften und Beziehungen. Bedauerliche Folge ist eine erhöhte Kriminalität vor Weihnachten, denn auch Räuber und Diebe habe Familie und Freunde. Doch die große Mehrheit der Bevölkerung verbessert ihre Versorgung nicht illegal, sondern versucht es mit mehr Arbeit, mehr Geschäft und mehr Handel oder ersucht mehr Unterstützung von seinen Nächsten.
Regelmäßig zum Jahresende wird auch der staatlich subventionierte Sprit knapp. Das beschert vor Weihnachten zum üblichen Stau auf den Straßen auch noch Schlangen an den Tankstellen. Manchmal mit etwas emotionalen Rangeleien um die vorderen Plätze. In Kombination mit Jahresberichten, Budgetschlüssen und Urlaubsvorarbeiten ist die Weihnachtszeit in Haiti, wie bei uns, alles andere als eine geruhsame Zeit.
Mein Wunsch zum Neuen Jahr: Jedem ein Dach über dem Kopf
Im neuen Jahr ein neues Glück, das wünsche ich dem Land und den Leuten hier, aber auch den Lesern meiner und der übrigen OHA-Seiten! Auch wenn es mir selber an Wasser nicht fehlt und meine privaten wie dienstlichen Wanderungen weniger feucht sind als sonst, freue mich jetzt schon auf das Frühjahr und den ersten Regen. Der wird hier erwartet wie von den Kindern in Deutschland der erste Schnee. Frohes Neues Jahr!
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