Verrohung der Debatte über die Zukunft der Krankenhäuser

Halbwahrheiten und Verbalattacken auf Krankenhäuser als Stütze für verfehlte Krankenhausreform

Die Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern ist zutiefst besorgt über die Verbalangriffe auf deutsche Krankenhäuser. Mit ihrer Forderung nach Finanzierung ausschließlich »effizienter Krankenhäuser« reiht sich die AOK-Vorstandsvorsitzende in die Verbalattacken von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und einigen Mitgliedern der Regierungskommission ein, die kleinen Krankenhäusern per Definition unzureichende Qualifikation attestieren und etliche darunter schließen wollen.

Zum Zitat der Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann „Ineffiziente Krankenhäuser mit schlechten Qualitätsergebnissen können wir uns nicht mehr leisten.“ 1 nehmen wir wie folgt Stellung:

1. Kleine ländliche Krankenhäuser sind keine vorrangigen Kliniken für Tumorpatienten, Herzinfarkte und Schlaganfälle.

2. Sie sind aber unverzichtbar zur klinischen stationären Erstversorgung, insbesondere zur Notaufnahme zwecks Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen bei lebensbedrohenden Erkrankungen und Verletzungen, wenn die Entfernungen zu Großkliniken nicht ausreichen.

3. Sie haben entsprechend verschiedener Patientenportale und Qualitätsdatenbanken durchschnittliche, bei Routinebehandlungen oft auch überdurchschnittliche Behandlungsqualität. Dies bestätigen das mittlerweile eingestellte Patientenportal Weiße Liste, das Patientenportal Klinikbewertung und die AOK-Klinikbewertung. 2

Klaus Emmerich, Klinikvorstand im Ruhestand: „In Deutschland haben wir eine effektive Zusammenarbeit von Trauma-, Schlaganfall- und Herzinfarktnetzwerken. Kleine ländliche Krankenhäuser leisten mit freiwilliger Zertifizierung zum lokalen Traumazentrum einen wichtigen Beitrag, um auch bei komplexen traumatischen Verletzungen und lebensbedrohlichen Erkrankungen kurzfristig intervenieren zu können. Dieses Netz soll nach den Vorstellungen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zerschlagen werden:

‚Wir haben derzeit 1720 Krankenhäuser. Dafür haben wir weder den medizinischen Bedarf noch das Personal oder die finanziellen Mittel‘ 3 Diesen Verbalattacken reihen sich Mitglieder der Regierungskommission Prof. Dr. Boris Augurzyk bzw. Prof Dr. Reinhard Busse mit der Forderung von nur halb so vielen Krankenhäusern in Deutschland ein. 4: Nun fordert auch die AOK-Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann eine Zerschlagung, indem sie feststellt: ‚Angesichts der immer knapper werdenden Mittel und des Fachkräftemangels können wir es uns schlicht nicht mehr leisten, weiter ineffiziente Krankenhausabteilungen mit schlechten Qualitätsergebnissen zu finanzieren.‘ “ 5

Es ist verwerflich, das geplante Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz einschließlich selektiv zu vergebender Leistungsgruppen mit dem Vorwurf zu verknüpfen, kleine ländliche Krankenhäuser seien für die ihnen übertragenen Behandlungen nicht bzw. schlecht geeignet.

Klaus Emmerich weiter: „Wir haben es mit einer Verrohung der Krankenhauspolitik zu tun. Haben wir etwa vergessen, wie froh wir während der Corona-Pandemie über unser dichtes Krankenhausnetz waren. Auch dieses dichte Krankenhausnetz reichte vereinzelt nicht mehr aus. PatientInnen mussten in andere Bundesländer verlegt werden.“ 6

Hintergrund
Bundesregierung, Regierungskommission und Krankenkassen begründen die vermeintlich schlechte Behandlungsqualität kleiner ländlicher Krankenhäuser gerne mit statistischem Datenmaterial wie beispielsweise Sterberate für selektiv ausgewählte Erkrankungen und Verlegungsquoten. Die Schlussfolgerungen beachten in keiner Weise reale klinische Abläufe und führen zur Denunzierung qualitativ hochwertiger Krankenhäuser. Beispiele:

  • Ein unheilbar erkrankter Tumorpatient entscheidet sich in seiner letzten Lebensphase für eine lindernde stationäre Behandlung in einem wohnortnahen Krankenhaus, um seine Sozialkontakte – insbesondere Besuche – pflegen zu können. Dies »verschlechtert« nach seinem Ableben die Behandlungsqualität kleiner Krankenhäuser.
  • Ein Schwerstverletzter wird zur Aufrechterhaltung seiner Vitalfunktionen in einem kleinen Krankenhaus lebensrettend erstversorgt und anschließend in ein Großklinikum verlegt. Dies führt zu »ineffizienter Doppelbehandlung« und stellt politisch die Finanzierung kleiner Krankenhäuser in Frage.

Klaus Emmerich weiter: „Mit dem geplanten Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz wird in kleinen ländlichen Krankenhäusern vieles nicht mehr möglich sein. TumorpatientInnen werden in ihrer letzten Lebensphase in weit entfernten Großkliniken vereinsamen. Wichtige klinische Notaufnahmen werden zerschlagen. Das kann bei lebensbedrohenden Erkrankungen und Verletzungen lebensentscheidend sein.“

Die Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern ruft die politischen Entscheidungsträger, die Regierungskommission und auch verschiedene Krankenkassenverbände zur Besonnenheit auf:

  • Füttern Sie die Bevölkerung nicht mit Halbwahrheiten
  • Klären Sie über Ihre wahren Absichten – eine Begrenzung finanzieller Mittel für weniger Krankenhäuser – auf.
  • Entscheiden Sie bitte erst unter Einbezug von Patientenvertretern und nach klarer Meinungsbildung der Bevölkerung über die Zukunft unserer Krankenhäuser.
  • Stellen Sie bis dahin die geplante Krankenhausreform zurück.

Klinikschließungen gefährden die Gesundheit!7

Pressemitteilung Aktionsgruppe Schluss mit dem Kliniksterben in Bayern


1 AOK, Reimann zur GMK: Ineffiziente Krankenhäuser mit schlechten Qualitätsergebnissen können wir uns nicht mehr leisten,
https://www.aok.de/pp/bv/statement/reimann-versorgung-qualitaet-krankenhaeuser/
2 AOK, AOK-Gesundheitsnavigator, https://www.aok.de/pk/krankenhaus-in-der-naehe/,
Klinikbewertungen.de, https://www.klinikbewertungen.de/, Bertelsmann Stiftung, Krankenhausqualität aus Patientensicht,
https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/krankenhausqualitaet-aus-patientensicht
3 Bundesgesundheitsministerium, Lauterbach: „Wir werden alle Krankenhäuser retten, die wir benötigen.“,
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/interviews/interview/main-echo-060424
4 Bertelsmann Stiftung, Eine bessere Versorgung ist nur mit weniger Kliniken möglich, https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/VV_SG_Krankenhaus-Landschaft_final.pdf
5 AOK, Reimann zur GMK: Ineffiziente Krankenhäuser mit schlechten Qualitätsergebnissen können wir uns nicht mehr leisten,
https://www.aok.de/pp/bv/statement/reimann-versorgung-qualitaet-krankenhaeuser/
6 Robert Koch Institut, Strategische Patientenverlegung, https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/COVRIIN/Patientenverlegung/FG_COVRIIN_Strategische_Patientenverlegung_node.html
7 Bündnis Klinikrettung, Beschluss im Bundeskabinett: Die Bundesregierung spielt mit dem Leben der PatientInnen,
https://www.gemeingut.org/beschluss-im-bundeskabinett-die-bundesregierung-spielt-mit-dem-leben-der-patientinnen/

1 Kommentar

    • Roland Brendel, 82362 Weilheim auf 5. Juni 2024 bei 11:39
    • Antworten

    Vielleicht sollte man sich mal das Gemeinschaftskrankenhaus Witten/Herdecke als Form örtlicher Versorgung anschauen . Es wurde 1969 gegründet, weil sonst Herdecke von Dortmund geschluckt worden wäre. Die Abkehr vom Chefarzt-Modell, Gleichwertigkeit von Pflege und Therapie und, das menschliche Arbeitskraft nicht als Ware gehandelt werden dürfen, hatte damals sogar die Repräsentanten der Stadt überzeugt. Die kurze Bauzeit, die geringen Kosten trotz hochwertigster Ausstattung und hohem Komfort für Patienten, haben sich bis heute bewährt.
    Ein Artikel in gesundheit-aktiv.de zeigt Werdegang und Stand.

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