Unser Dilemma

Heidi Sollner und Gerhard Hoch im Gasthof Oberbräu in Weilheim

H: (tippt Gerhard auf die Schulter) Grüß dich, Gerdi.

G: (fährt ein wenig erschrocken hoch) Ja grüß dich, Heidi. Entschuldige, ich hab dich gar nicht bemerkt.

H: (setzt sich und deutet auf ein Journal am Tisch) Du, so etwas habe ich noch nie gesehen, da wundert es mich nicht, dass du mich nicht bemerkt hast.

G: Das ist das schwarze Loch in der Galaxie M 87.

H: Ja Mann, für was du dich so alles interessierst! Aber, bevor ich es vergess’, die Rosi kann nicht kommen, sie hat Handwerker im Haus. Sie hat mir aber mitgegeben, dass wir unser Klassentreffen in den März legen sollten, weil in der Weihnachts- und Faschingszeit die wenigsten Zeit haben werden.

G: Da hat sie Recht.

H: Aber sag, wie kommst du zu so einem Journal?

G: Du, das ist eine der letzten Ausgaben von »Spektrum der Wissenschaft«, das ich seit Jahren beziehe.

H: Aha. Aber das Bild ist echt beeindruckend.

G: Wie unser ganzer Kosmos, Heidi. Und ich hab grad wieder einmal darüber gegrübelt, warum wir Menschen so zweigleisig leben.

H: Wie soll ich das jetzt verstehen, Gerdi?

G: Nur ganz kurz, Heidi: Dieses Journal berichtet von grandiosen Leistungen des Menschen in den Bereichen Astronomie, Technik und Medizin. Aber die Menschen, die diese Leistungen erbringen, die also auch eine enorme Denkarbeit leisten, führen in aller Regel ein Leben, das ausgesprochen schädlich für die Umwelt ist, das so ganz und gar nicht zu ihrem geistigen Niveau passt.

H: Du, ich versteh dich immer noch nicht so ganz.

G: Also, Heidi, diese Aufnahme vom Zentrum der Galaxie M 87 kam über den gemeinsamen Betrieb von acht Teleskopen zustande, die an verschiedenen Punkten der Erde stehen und nur mit erheblichen Aufwand erreicht werden können. Das Erstellen dieser Teleskope, deren Betrieb und die Verwertung ihrer Betriebsergebnisse übersteigt das Vermögen des einfachen Menschen erheblich, stellt also eine grandiose Leistung von vielen Könnern dar, ist aber letztlich eine enorm schadensträchtige Leistung.

H: Auch wegen dem damit verbundenen Energieverbrauch?

G: Genau. Und vorhin hab ich wieder einmal überlegt, wie das nur sein kann, dass der Mensch auf den verschiedensten Gebieten geradezu Sensationelles leistet, aber viel zu wenig darüber nachdenkt, wie die Menschheit mit weniger Schadenspotenzial leben könnte, wie unser Leben entschieden einfacher und umweltschonender gestaltet werden kann.

H: Das hat in den letzten Jahrzehnten kaum jemand interessiert, Gerdi.

G: Ja, leider, und trotzdem ist das nur schwer zu verstehen, Heidi. Eigentlich müsste sich der intelligente Mensch doch zu allererst dafür einsetzen, dass er seiner Welt keinen Schaden zufügt, und dürfte sich erst dann um den Kosmos kümmern.

H: Diese Reihung geht vielleicht nicht. Und außerdem, Gerdi, Grandioses geht vielleicht nie ohne Schaden.

G: Es sei denn, wir sehen in Zukunft das Grandiose in der Schadensvermeidung, im einfachen und naturnahen Leben, in der Findung des Weges dorthin.

H: Dein Wort in Gottes Ohr. Aber jetzt, Gerdi, sollten wir uns um unser Klassentreffen kümmern.

G: Hast Recht. Du, ein Punkt in der Einladung wär mir ganz wichtig: Anreise möglichst mit dem ÖPNV.

Guggera

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