Stücke aus Haiti (1)

Haiti Strand

Haiti hat auch Strände, vor allem aber Berge.

Splitter aus Haiti? Passt nicht zu den Bildern vor Ort! Eher Trümmer, Brocken, Stücke, Scherben. Soll ich die Texte also Trümmer aus Haiti nennen? Nein. Denn nicht die Erdbebenkatastrophe, sondern ein Entwicklungshilfeprojekt hat mich Mitte August in die einstige »Perle der Karibik« geführt.

Dennoch, zur Erinnerung: In Haiti gab es 2010 ein sehr starkes Erdbeben, in der Folge circa 250 000 Tote, eine zerstörte Hauptstadt, über eine Million Obdachlose, dann noch eine Cholera-Epidemie. Was die Medien sonst noch berichten sind Korruption, Misswirtschaft und Kritik an ineffizienter Hilfe-Organisation. Ein Bericht von Maurice de Coulon im Juni-OHA 2011 bezieht sich darauf.

Zurück zur Wortklauberei. Aus den Trümmern werden ganz allmählich Bausteine. In der Arbeit der Hilfsorganisationen gibt es grob drei Phasen. Nach Krisen, Krieg oder Naturkatastrophen setzen zunächst die Rettungseinsätze der humanitären Organisationen ein. Ihnen folgt so rasch wie möglich der Wiederaufbau. Der dauert in Haiti länger als üblich an. Denn das Land war und ist Entwicklungsland. Die Entwicklungshilfe als dritte Phase will idealerweise dauerhaft verbessern. »build back better« haben die Amerikaner als Slogan für ihre Arbeit nach dem Beben ausgegeben. Wenn das »better« wahr werden soll, dann braucht es einen längeren Atem, als ihn Medien gemeinhin haben. Meine deutschen Kollegen, die schon vor dem Erdbeben hier waren, sagen, dass die Hauptstadt »Porte au Prince« – abgesehen von noch nicht beseitigten Hausruinen – vor dem 12. Januar 2010 nicht weniger desolat war wie jetzt.

Haiti Kienspan

Kiefernstämme werden angeschlagen für die illegale Kienspan-Produktion

Das Projekt, in dem ich arbeite, hat mit dem Erdbeben keine direkte Verbindung. Es hat sich den Aufbau eines Schutzkonzeptes für den kleinen Rest des hiesigen Kiefernbergwalds zum Ziel gesetzt. Theoretisch und gesetzlich ist dieser Wald totales Schutzgebiet. Praktisch gibt es keine Institution oder Einrichtung, die ihn schützt. Er ist besiedelt von Leuten, die von dem kargen, verkarsteten Boden ihr Auskommen suchen. Zwischen den Kiefern bauen die Leute Mais, Weizen, Lauch, Kohl oder Kartoffeln an. Nicht weniger wichtig sind Ziegen und Kühe, die im lichten Wald einzeln an langen Leinen grasen. Eine wichtige Einkommensquelle der Bauern ist die (illegale) Produktion von Kienspan, der als Feueranzünder verkauft wird. Die Kiefern werden unten am Stamm angeschlagen. Das Holz um die Wunde verharzt stark und wird dann mehrere Monate lang zentimeterweise abgetragen. Berechnungen haben ergeben, dass es den jetzigen Wald nur noch 20 Jahre gibt, wenn diese Praxis so weitergeführt wird.

Die Hälfte meines Arbeitsplatzes besteht aus zwei großen Häusern im Stil von Berghütten, mitten im Wald und sehr abgelegen, auf 2000 m Höhe. Es ist alles andere als karibisch. Oft feucht und neblig und im Durchschnitt nur 14°C warm. Doch landschaftlich wunderschön. Die andere Hälfte meiner Arbeitszeit verbringe ich bei 30-35°C im Gewühl von Porte au Prince, der lärmenden Hauptstadt des Landes. Meine Arbeit dort besteht darin, Vermarktungsmöglichkeiten für alternative Produkte aus dem Wald zu finden. Momentan warten auf mich 600 Gläser pappsüße Brombeer-, Pfirsich- und Holundermarmelade. In den Supermarktregalen der Hauptstadt wären sie ungefähr die fünfundzwanzigste, von irgendwelchen Frauengruppen produzierte Marmeladensorte. Das nächste Problem lauert, wenn die begonnene Imkerei Erfolg hat. Dann kann ich versuchen, die 10. Honigvariante zu verkaufen, die noch nicht einmal variiert. Vermarktung funktioniert hier bisher nach dem Prinzip: Was mein Nachbar kann, kann ich auch. Eins zu eins. Auf dem Papier gibt es eine Subgruppe der lokalen Bauernorganisation, die sich um den Absatz der Produkte kümmern will. Also werde ich wohl eine Art Vermarktungsfortbildung für Analphabeten auf Kreyol, der haitianischen Landessprache organisieren müssen. Denn die Amtssprache französisch wird nur etwa von 20% der Haitianer gesprochen. Davon dann vielleicht im nächsten Stück aus Haiti.

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