Schulen statt Waffen – eine Utopie?

Thea Wolf

Thea Wolf

Roland Greissl

Roland Greissl

Die »Kinderhilfe Afghanistan« ermöglicht eine bessere Schul- und Berufsausbildung

Weihwasser, Weihrauch und Bibelsprüche sind gegen die fundamentalistischen Kämpfer des Islamischen Staates (IS) im Irak und in Syrien sowie die Taliban und Al Quaida in Afghanistan wohl nicht die adäquaten Mittel, um deren Morde an Andersgläubigen und Andersdenkenden zu bekämpfen. Aber ist die seit Jahrzehnten gleichbleibende Antwort des Westens: die Entsendung von Soldaten, Militärberatern und vor allem die Lieferung von Waffen, die ultimative Alternative? Wie nie zuvor reiben sich die Rüstungsfirmen der Welt die Hände – während die betroffenen Regionen oft genug im Chaos versinken und die Waffen genau in die falschen Hände fallen.

So kämpft zum Beispiel der IS mit genau diesen Waffen aus den USA und aus Deutschland, weil die frustrierten sunnitischen Generäle im Irak, die nach der Ära Saddam Husseins vom schiitischen Ministerpräsident Nuri al-Maliki entmachtet wurden, diese unter ihre Kontrolle brachten. Wegen schlechter Bezahlung und Ausrüstung desertierten zudem reihenweise Regierungssoldaten aus dem Irak und aus Syrien zum IS. Und genau diesen IS hatte der Westen noch 2014 mit Millionenbeträgen unterstützt – im Kampf gegen den syrischen Diktator Baschar al-Assad! Was für ein »Konzept«!

Gleichzeitig erfolgte zu Beginn des Jahres 2014 der Rückzug der kämpfenden Truppen aus Afghanistan. Wie steht dieses Land nun da, zehn Jahre nach dem westlichen Militäreinsatz?

„Weit schlimmer als vor den Taliban. Ein einziges Fiasko.“ So resümiert erbittert ein Mann, der es mehr als andere wissen muss: Dr. med. Reinhard Erös, geboren 1948 in Tirschenreuth, als Oberst a. D. und späterer Stabsarzt der Bundeswehr im Einsatz in unzähligen Krisengebieten. Vor allem für die von ihm und seiner Frau Annette gegründete »Kinderhilfe Afghanistan« erhielt er namhafteste Auszeichnungen wie das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse (2006) und den Bayerischen Verdienstorden (2012).

Weit über eine Million Menschen seien ums Leben gekommen, eine Million Afghanen seien durch Minen verkrüppelt, zehn Millionen Minen lägen noch im Boden; die radikal-islamistischen Taliban übten Terror im gesamten Land aus, Schulen und Universitäten seien geschlossen, für Mädchen seien Schulen und Bildung gänzlich verboten. Die Jahrtausende alte Kultur Afghanistans sei zerstört, die Museen geplündert. Und: Die Produktion von Opium, die die USA einst komplett unterbinden wollten, sei von 180 Tonnen im Jahre 2001 explodiert auf unfassbare 7000 Tonnen im Jahre 2014.

Die »Kinderhilfe Afghanistan« ermöglicht mittlerweile weit über 50.000 Kindern, vor allem Mädchen, einen Schulbesuch, eine Ausbildung als Schneiderin, Computerausbildungen und sogar eine Universitätsausbildung. Interessierte Jungen lernen daneben die Produktion von Solarkochern und kleinen Photovoltaikanlagen. Und das Programm »Obstbäume statt Opium« soll den Anbau alternativer Produkte fördern. Die Projekte befinden sich nicht im Zentrum, in der Hauptstadt Kabul, sondern vor allem im Südosten des Landes – genau dort, wo »Taliban-Gebiet« ist. Wie ist das möglich – wo Bildung für Mädchen ab acht Jahren doch laut fundamentalistischen Islamisten tabu sein sollte?

Der Kerngedanke von Dr. Erös ist so einfach wie logisch: Der Bau der Schulen erfolgt ausschließlich gemeinsam mit den afghanischen Partnern, und zwar auf der Basis von deren Kulturverständnis und deren traditionell tolerantem Islam. So werden diese zu „Schulen der Menschen vor Ort“, der einzigen Alternative zu den fundamentalistischen Talibanschulen (Madrasse). Regelmäßig sind die Dorfältesten (Maliks) und Stammesältesten sowie lokale Politiker voll Stolz bei der Einweihung der Schulen zugegen. Diese Einbeziehung der Bevölkerung erlaubt sogar den Bau christlich-moslemischer Gemeinschaftsschulen.

Von großer Bedeutung ist ferner, dass Dr. Erös die Sprache der Einheimischen, Paschtu, spricht, die ersten Lehrbücher in Paschtu überhaupt herausgeben ließ und ausschließlich einheimische Mitarbeiter einsetzt. So versteht er deren Sprache im wörtlichen und übertragenen Sinne. Genau das bedeutet auch: Soldaten, gleich welcher Uniform, haben sich den Schulen fernzuhalten, haben striktes Betretungsverbot.

So ist das Kernanliegen der »Kinderhilfe Afghanistan« ein völliger Strategiewechsel: weg von Militäreinsätzen, hin zu ziviler Hilfe. Und wenn Dr. Erös jene unfassbare Summe von 750 Milliarden US-Dollar vor Augen hat, die dieser Krieg in den vergangenen zehn Jahren verschlang, stellt sich ihm nur die Frage: „Was hätte man mit diesem Geld an Aufbau statt an Zerstörung leisten können?“

So aber seien weder Schulen noch Arbeitsplätze von dem Geld geschaffen worden, und schlimmer: Das exzellente Image Deutschlands nach der Vertreibung der Sowjets sei einem generellen Hass auf den Westen gewichen, auch, weil Tausende afghanischer Zivilisten, durch amerikanische Bombardements getötet, in den Medien lediglich als »Kollateralschäden« erwähnt worden seien.

Ganz anders sieht das Fazit der privaten Arbeit der »Kinderhilfe Afghanistan« aus: Obwohl alle genannten Projekte in den unruhigen Paschtunen-Provinzen liegen, kam es niemals zu Angriffen gegen Schülerinnen oder Lehrerinnen, wurde niemals eine Fensterscheibe einer Schule zertrümmert, niemals eine Drohung ausgestoßen! Und wichtiger: Viele der Schülerinnen erwirtschaften nach der Schule ihr eigenes Einkommen, die Mädchen heiraten erst als Erwachsene und die im Land extrem verhängnisvolle Geburtenrate (sechs bis sieben Kinder pro Familie) reduziert sich durch die bessere Bildung.

Die Finanzierung der genannten Projekte erfolgt übrigens ausschließlich durch private Spenden, vor allem durch die unzähligen Vorträge von Dr. Erös und den Verkauf seiner beiden fesselnden Bücher »Tee mit dem Teufel« und »Unter Taliban, Warlords und Drogenbaronen«.

Alle Spenden kommen zu 100 Prozent an, da alle Mitarbeiter ehrenamtlich arbeiten.

Die größte Dummheit des Westens sei es gewesen, das afghanische Volk mit den Taliban und Al Quaida gleichzusetzen. Dafür habe das Volk auf unsägliche Weise geblutet. Aber es sei auch ein zähes Volk, in dessen Sprache es kein einziges Wort für „aufgeben“ gebe.

Doch es gibt Grund zu neuer Sorge: Immer stärker werden die Führer von Taliban und Al Quaida vom Islamischen Staat umworben, sich der Bewegung anzuschließen. Sollte dies gelingen, würde das geplante Kalifat des IS für Mädchen und Frauen das Aus jeglicher Bildung bedeuten. Mit Sicherheit könnte dies kein westlicher Soldat verhindern, vielleicht aber kann es die immense Zugkraft des Hilfsprojekts.

Kontakt: Dr. med. Reinhard und Annette Erös www.kinderhilfe-afghanistan.de

Thea Wolf und Roland Greißl

 

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