von Dr. Rainer Putz (gekürzte Fassung)
Artenreichtum, Klimaschutz und riesiger CO2-Speicher – diese Assoziationen sind eng mit den tropischen Regenwäldern verbunden. Und obwohl die Regenwälder am Amazonas 10 000 Kilometer von uns entfernt sind, sind wir mehr von ihnen abhängig als wir uns oftmals vorstellen.
Regenwald unerlässlich für das Ökosystem Erde
Der Regenwald am Amazonas bindet bis zu 200 Milliarden Tonnen CO2 – zum Vergleich: In deutschen Wäldern sind gerade einmal eine Milliarde Tonnen gebunden.[3][4] Außerdem beeinflusst der Regenwald weltweit das Wetter und die Niederschlagsverteilung. Die Regenwälder erbringen unschätzbare Dienstleistungen für das gesamte Ökosystem Erde und letztlich für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Und das auch noch völlig kostenlos.
Zerstörung des Regenwaldes hat dramatische Folgen
Bis heute sind etwa 25 Prozent der amazonischen Regenwälder unwiederbringlich zerstört. In der Ökologie spricht man über so genannte »Kipppunkte«. Das sind Ausmaße der Zerstörung, bei deren Erreichen sich das Ökosystem nicht mehr selbst erhalten kann und in der Folge zusammenbricht. So gibt es auch für den Amazonasregenwald einen »Kipppunkt«. Die Forschung legt den Kipppunkt für Amazonien auf 40 Prozent. Wenn also 40 Prozent der Regenwälder am Amazonas zerstört sind, sind sie in ihrer Gänze nicht mehr überlebensfähig. Sie verwandeln sich in eine Savanne oder in Halbwüsten. Wer besonders unter dem Klimawandel leidet, sind die größten zusammenhängenden Regenwaldgebiete unserer Erde am Amazonas. Ein Ökosystem, das man bisher allein aufgrund seiner Größe als stabil und vor allem weitgehend immun gegen den Klimawandel eingestuft hat. Wir müssen leider gerade lernen, dass das alles andere als zutreffend ist. In den letzten 15 Jahren gab es in einigen Regionen Amazoniens drei (!) Jahrhunderthochwasser und ebenso viele Dürren (Regenwald-Institut, unpublizierte Aufzeichnungen und Beobachtungen). Niemand weiß, wie die Wälder mit ihren einzigartigen und komplexen Lebensgemeinschaften auf diese Extreme mittel- und langfristig reagieren.
Schutz des Regenwaldes durch Wertschätzung
Grundsätzlich müssen wir uns im Klaren darüber sein, dass der Wohlstand und Lebensstandard im Globalen Norden letztlich auf der seit Jahrhunderten andauernden, systematischen Ausbeutung der Länder des Globalen Südens beruht. So verschlingt vor allem der Lebensstandard Europas und Nordamerikas die globalen natürlichen Ressourcen 1,75 mal schneller als sie sich neu bilden können.[7] Dass die für uns existenziellen, menschenfreundlichen Lebensbedingungen auf der Erde bis heute weiter existieren, verdanken wir zu einem Großteil den Regenwäldern. Den politisch Verantwortlichen muss klar sein, dass der Wert von intakten Regenwäldern um ein Vielfaches höher ist als die einmalige Rodung und die daraus resultierenden kurzzeitigen Nutzungsmöglichkeiten und finanziellen Einnahmen. Es geht also um die generelle Wertschätzung der Regenwälder und um die In-Wert-Setzung der bestehenden im Besonderen. Aus unserer anthropogenen Weltanschauung müssen die Wälder realistischer Weise auch einen nennenswerten wirtschaftlichen Nutzen liefern. Der einzige dafür gangbare Weg liegt in der nachhaltigen Nutzung der Regenwälder. Mit Sanktionen wird man Bolsonaro und die Abholzung nicht stoppen können. Er wird sich nicht erpressen lassen. Er muss davon überzeugt werden, dass der (ökonomische) Wert eines intakten Regenwaldes um ein Vielfaches höher ist als seine Abholzung und der zeitlich eng befristete Anbau von beispielsweise Soja. Dazu braucht es ein Investitionsprogramm des Globalen Nordens in eine »In-Wert-Setzung« des Amazonaswaldes, das Brasilien die Hoheit über die Ergebnisse garantiert. Gefragt sind Investitionen von Politik und Wirtschaft in die Produktentwicklung aus Regenwald-Rohstoffen – zum Beispiel in die chemische, pharmazeutische und kosmetische Aufarbeitung und Erforschung von Pflanzenextrakten, Ölen und Harzen.
Nachhaltige Nutzung der Regenwälder durch fairen Handel
Will man den Regenwald ökonomisch und nachhaltig nutzen, geht das nur in enger Zusammenarbeit mit den traditionellen Bevölkerungsgruppen, die im und von den Regenwäldern leben. Sie sind der Schlüssel für einen dauerhaften Schutz und Erhalt der Wälder. Wenn der Wald sie ernährt, dann ist das auch die beste Rückversicherung für den Bestand des Waldes. Und hier kommt der Faire Handel als entscheidender Faktor ins Spiel. Er kann für eine verlässliche Abnahme der Waldprodukte sorgen. Dies sind Nicht-Holz-Produkte wie zum Beispiel Kakao, Samen oder Öle. Im Idealfall werden vor Ort verkaufsfertige Endprodukte hergestellt, verpackt und etikettiert. Denn nur so lässt sich lokal »Wert schöpfen«, was den Menschen ein würdiges Einkommen verschafft. Der Verkauf von Rohstoffen ist und war Grundlage der seit Jahrhunderten andauernden Ausbeutung der Länder des Globalen Südens. In Weltläden gibt es deshalb Produkte wie Schokolade, Schmuck oder Kosmetik, die aus Rohstoffen des Regenwaldes bestehen und von traditionellen Bevölkerungsgruppen lokal hergestellt wurden.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Quelle: Regenwald-Nachrichten Nr. 91, 4. Quartal 2019, Regenwald-Institut, Institut für angewandten Regenwaldschutz e.V.
Weitere Informationen www.regenwaldladen.de
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