Moderne Medizin

Personen. Georg Remesch und Josef Werner im Bürgerheim Weilheim

G: (kommt ins Zimmer vom Josef) Grüß dich, Sepp. Du, entschuldige bitte, dass ich so spät dran bin, mich hat die Frau Zinner wegen ihrem Haus aufgehalten.

J: Du, unser Schach kann gut warten. Ich hab dir inzwischen ein Glas Primitivo eingeschenkt. Ist dir doch recht, oder?

G: Ganz recht, Sepp. (setzt sich an den Schachtisch)

J: (während er auf dem Rollstuhl zum Schachtisch fährt) Schorsch, die Zinner belastet der Hausverkauf arg, du musst ihr unbedingt helfen. Sie fürchtet, dass man sie übers Ohr hauen will.

G: Mach ich. Bevor wir aber den ersten Zug machen, hätt’ ich noch etwas anderes. Mich erinnert nämlich dein Blutdruckmessgerät auf der Anrichte an ein Fiasko, das ich am Montag mitgemacht habe, und das muss ich dir unbedingt erzählen.

J: Okay, schieß los.

G: Also, ich war in aller Früh bei meinem Hausarzt, und dort haben sie mir ein Dauerblutdruckmessgerät umgehängt. Es war ein ganz neues kleines Ding, nicht mehr so ein unangenehmes Kastl wie früher.

J: Die Medizintechnik macht Fortschritte, das bemerkt man hier im Heim auch.

G: Stimmt erst einmal, Sepp. Aber für mich hat sich dieses moderne Gerät im Laufe des Tages zu einem Ungeheuer ausgewachsen.

J: Ja wie denn das?

G: Schon am Heimweg, Sepp, ich war noch keine zehn Minuten unterwegs, hatte ich den Eindruck, dass das neue Gerät häufiger misst als das alte. Weil es heftig zu schneien angefangen hatte, habe ich natürlich nicht angehalten.

J: Hätt’ ich auch nicht.

G: Du, das hat dem Gerät aber überhaupt nicht gepasst. Während der letzten Minuten zu meinem Haus lief es zwei- oder dreimal an. Es wollte offenbar unbedingt ein verwertbares Ergebnis abspeichern.

J: Ja so was. Das neue Gerät ist also dickköpfig.

G: Ganz gewaltig sogar. Im Verlauf des Vormittags ist mir dann klar geworden, dass es mit einem Messrhythmus von fünfzehn Minuten ausgestattet ist und dass es nur korrekte Ergebnisse akzeptiert.

J: Und das muss dann eben unsereiner akzeptieren.

G: Geht aber fast nicht während der Essenszeiten. Wenn nämlich sein Startsignal kommt, und du hörst nicht sofort mit dem Kauen auf, dann gibt es eine Fehlmessung und kurz darauf die Messwiederholung.

J: Ja verreck! Herrgott, da vergeht dir doch glatt der Appetit.

G: So ziemlich. Den Tag hab ich dann überhaupt abschreiben müssen, weil der 15-Minuten-Takt auch keine vernünftige Arbeit zulässt.

J: Du, so ein Gerät wäre ja nicht einmal was für mich, ich würde ja keinesfalls den ganzen Tag mit der Stoppuhr in der Hand im Heim und in der Stadt herumfahren wollen.

G: Eben. Aber es kommt noch toller, Sepp. Gegen zehn hab ich das Gerät auf Nachtbetrieb umgestellt.

J. Von Sonne auf Mond.

G: Genau. Ich war dann noch kurz im Bad, und grad wie ich mich ins Bett legen will, kommt das Startsignal und sagt mir auf diese Weise kaltschnäuzig, dass der Mond nicht mehr gilt.

J: Schreck lass nach!

G: Ja, Sepp, der ist mir wirklich in die Glieder gefahren. Nach kurzem Überlegen hab ich das Gerät stocksauer abgenommen und aufs Nachtkastl gelegt.

J: Geschmissen, schätz ich. Aber sag, Schorsch, hat man dich denn beim Umhängen des Geräts bezüglich der neuen Betriebsart nicht informiert?

G: Mit keinem Wort. Man hielt das offenbar für gänzlich unnötig. Auf meine Kritik hin sagte man mir am Dienstag nur kühl, dass ich der erste wäre, der diese Betriebsart als Zumutung empfindet, dass im Gegenteil bisher alle Patienten gut damit leben und schlafen konnten.

J: Du Schorsch, das können doch nur Patienten sein, die dankbar dafür sind, dass sich jemand um sie bemüht, und sei es auch nur ein Gerät. Das müssen Menschen sein, die das Brummen des Geräts genauso schön einschlafen lässt wie das Schnurren eines Kätzchens.

G: Könnt’ vielleicht so sein, Sepp.

Guggera

Schreibe einen Kommentar

Bitte bleiben Sie sachlich. Beiträge mit beleidigenden oder herabwürdigenden Inhalten oder Aufrufen zu Straftaten werden ebenso gelöscht wie solche, die keinen Bezug zum Thema haben. Ein Anspruch auf Veröffentlichung besteht nicht!

Es wird Ihr Vorname, Nachname und Wohnort veröffentlicht. Straße, E-Mail-Adresse und Website bleiben unveröffentlicht.