Weilheim. Dezember 2024. Bahnhof. Busbahnhof. Bus nach Steingaden. Er hält, Fahrgäste steigen vorne ein. Die Frau, die an der hinteren Türe in ihrem kleinen elektrischen Rollstuhl wartet, wird nicht beachtet, fährt vor. Der Busfahrer sagt ihr, dass sie bei ihm nicht mitfahren kann. Der nächste Bus – in zwanzig Minuten – hat eine Rampe und der Kollege nimmt sie dann mit. Doch dieser Bus ist an der Anzeigetafel nicht aufgeführt, wovon er sich selbst überzeugt. Beides verstehe wer kann und will. Die Frau im Rollstuhl und ich jedenfalls verstehen das nicht.
Da sie unsicher ist, ob besagter Bus wirklich fährt, gehe ich ganz nach hinten, wo der Fahrer im Bus sitzt und mir erklärt, dass das klappt. So kann ich die Dame wenigstens in dieser Hinsicht beruhigen und ihr damit ein klein wenig weiterhelfen. Dabei denke ich mir, dass es Gott sei Dank weder regnet, noch stürmt und/oder schneit, denn sie müsste auch dann warten! Die so laut gepriesene Inklusion – nicht nur im Bereich der Mobilität hakt es teils massiv.
Bei den Bittbriefen in der Adventszeit war einer dabei, in dem sich ein Mädchen ein Kinderbuch in Brailleschrift wünscht. Wie wäre es, wenn alle Kinder in der Schule auch diese Schrift lernen, um zu begreifen, dass es ein absoluter, unverdienter Luxus ist zu sehen? Es steht zwar gewissermaßen jedem Menschen zu, sehen, hören, gehen und Vieles mehr zu können. Doch ein Recht darauf gibt es nicht. Das Menschenrecht auf ein selbstbestimmtes Leben allerdings schon.
Eine Bekannte, deren Sohn mit Down-Syndrom zur Welt kam, berichtete von enormen Anstrengungen ihrerseits, dass er überhaupt eine reguläre Schule besuchen konnte. 90% der ungeborenen Kinder, bei denen ein VERDACHT auf diese Gen-Variante bei Voruntersuchungen festgestellt wird, werden abgetrieben. Das ist Euthanasie. Doch weder mir persönlich noch irgendjemand anderem steht das Recht zu, Eltern oder Frauen dafür zu verurteilen, da kein anderer Mensch genau diese einmalige Lebenssituation hat. Und für die allermeisten, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, ist dies sehr schwer und schuldbeladen.
Raúl Krauthausen (selbst behindert, setzt sich für die Rechte von Behinderten ein) führte bei »Hirnwäsche« (auf YouTube) ein Interview mit einer Frau, die mit ihrem Mann ein behindertes Kind liebevoll angenommen hätte. Doch war die Last, dass der Fötus im Verlauf der Schwangerschaft einen Hydrocephalus, also einen Wasserkopf, entwickelte und 80% der Gehirnmasse nicht mehr vorhanden waren, für beide zu groß. Sie entschieden sich schweren Herzens dafür, sich und ihr Kind vor einem Leben, das keines gewesen wäre, zu bewahren. Wie in allen Lebensbereichen gibt es nicht nur Schwarz und Weiß und NIEMAND kann und darf hier richten.
Wussten Sie, dass bei Feststellung einer Behinderung bis zur Geburt abgetrieben werden darf, bei nichtbehinderten Föten – bei gewichtigem Grund – bis zum 3. Monat? Ein absolut schwieriges Thema und jede/r von uns kann froh und dankbar sein, wenn Derartiges im eigenen Leben nicht vorkommt. Auch das fällt meiner Meinung nach unter Luxus, den es bei Weitem nicht nur im sogenannten materiellen Bereich gibt.
Für mich selbst gibt es Vieles, das ich als Luxus empfinde, denn es ist ja nicht allen möglich, mit den eigenen Sinnen, eigener Beweglichkeit und (ziemlich) gesund sein eigenes Leben zu gestalten. Wofür ich zum Beispiel immer wieder spende, sind die MFK, die Mund- und Fußmalenden Künstler, deren Werke ich stets bewundere. Sie haben keine Arme, sind gelähmt, sitzen im Rollstuhl und/oder sind anderweitig nicht in der Lage in irgendeiner Form »produktiv« zu sein, so wie »die Gesellschaft« das erwartet. An Produktivität wird scheinbar der Wert eines Lebens gemessen. Ein junger Mann mit Muskelschwund hat sechs Betreuer, die ihn unterstützen. Diese lückenlose Assistenz ermöglicht ihm ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung, wofür die Krankenkasse monatlich 13.000 Euro bezahlt. Doch wer würde für dieses Geld seine Gesundheit aufgeben? Vermutlich niemand.
Für alle Menschen, vor allem für jene, die mehr als genug »Besitz« ihr eigen nennen, ist es meiner Ansicht nach ein immer drängenderes Thema, dass auch alle Anderen ein Leben leben können, das tatsächlich so bezeichnet werden kann. Dazu gehören noch viele andere Dinge. In der VdK-Zeitung stand zu lesen, dass allein in Deutschland 10% der Bewohner 60% des hier vorhandenen Vermögens besitzen. Wieviel Hilfe können diese Reichen und Superreichen anderen zugutekommen lassen, ohne etwas von ihrem Luxusleben aufzugeben?
Anderen den Luxus von sauberem Trinkwasser, Lebensmitteln, Gesundheitsversorgung, Bildung und Weiterem zukommen zu lassen – was hindert jene daran, die viel zu viel »haben« und nichts davon abgeben wollen? Es ist erwiesen, dass jene, die selbst zu den weniger Begüterten gehören, empathischer, mitfühlender sind und eher spenden als sehr Wohlhabende. Wissen sie, dass Luxus so viel mehr ist als materieller Besitz?
Irmgard Deml, Weilheim
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