Keine Milchkühe auf der Wiese – dafür Silage in Plastikbeuteln

Silage

Das ist in diesem Frühsommer das vorherrschende Bild:
Bis zum Horizont abgemähte Wiesen und in Siloballen abgepacktes Gras (Fotos: Wolfgang Fischer)

»Wachse oder weiche!« – Der Trend im Voralpenland ist ungebrochen

Anfang der 1990er Jahre bin ich nach Italien gezogen und habe dort in meiner Umgebung den Niedergang des bäuerlichen Olivenanbaus beobachten können, der gegenüber den mit hohem technischen und chemischen Aufwand betriebenen Großplantagen keine Zukunft mehr hatte.

Glückliche Kühe auf blühenden Wiesen – Noch vor 20 Jahren ein vertrautes Bild, heute ein eher selten gewordener Anblick

Glückliche Kühe auf blühenden Wiesen – Noch vor 20 Jahren ein vertrautes Bild, heute ein eher selten gewordener Anblick

Anfang diesen Jahres bin ich nun ins vertraute Allgäu zurückgekommen und lebe nun wieder am Rande eines Dorfes mit einer Jahrhunderte umfassenden bäuerlichen Tradition. Vor dem Fenster meiner Wohnung ausgedehnte Weiden mit großen Schattenbäumen, dahinter die Tiroler Alpengipfel. Anfang Mai, als die Tage wärmer wurden, und das Gras schon gut 25 cm hoch stand, wurde ich ungeduldig: Noch immer wurden keine Kühe ausgetrieben – so, wie es doch immer gewesen war!

Stattdessen eines Morgens allenthalben Traktoren- und Maschinenlärm, die blühenden Wiesen wurden im Eiltempo gemäht, ich war verwirrt: Man kann doch jetzt noch kein Heu machen, und was sollen denn die Kühe fressen, wenn es kein Gras auf den Weiden gibt?! Noch am Abend des gleichen Tages kamen die Bauern wieder mit ihren Maschinen, das frische Gras wurde zu den Höfen transportiert oder in Windeseile in graue Plastikballen verpackt, die seitdem in der Landschaft herumliegen. Am nächsten Tag wurde jede Menge Gülle auf die kurzgeschorenen Wiesen ausgebracht – vermutlich machte das den letzten Insekten und sonstigen Kleinlebewesen den Garaus.

Eine blühende Wiese – Lebensraum für Bienen und unzählige Insekten

Eine blühende Wiese – Lebensraum für Bienen und unzählige Insekten

Das  alles war ein Schock für mich, der ich noch vor 20 Jahren ein ganz anderes Allgäu gekannt hatte. Ich schaute nun etwas näher hin und entdeckte, dass die wenigen im Dorf verbliebenen Bauern nun inzwischen große Laufställe und Betonsilos gebaut hatten und  über einen beachtlichen neuen Geräte- und Maschinenpark verfügten. Mir wurde bewusst, dass es offensichtlich »aus der Mode« gekommen ist, Milchkühe auf die Weide zu treiben, dass deshalb fast nur noch Jungvieh außerhalb der Ställe zu sehen ist und dass die aus der Kindheit vertrauten blühenden Wiesen nur noch vereinzelt anzutreffen sind.

»Der Landwirt im Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie« – schon 1983 ein heiß diskutiertes Thema im Landkreis. Heute ist es aktueller denn je!

»Der Landwirt im Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie« – schon 1983 ein heiß diskutiertes Thema im Landkreis.
Heute ist es aktueller denn je!

Es steht mir nicht zu, diese Entwicklung den Bauern anzulasten, die mit dem Rücken zur Wand stehen und ein Recht auf ein angemessenes Einkommen haben wie alle anderen Bürger auch. Viele von ihnen werden sich mehr oder weniger verschuldet haben – während die Hersteller von Landmaschinen  und die Banken auf jeden Fall ihren Profit gemacht haben. Kritisieren muss man vielmehr die Politik, die günstige Rahmenbedingungen für Großbetriebe schafft (letztes Beispiel: Wegfall der Milchquote zum 1. April 2015) und auch die Landwirtschaft den Regeln der kurzfristigen Profitmaximierung unterwirft! Sollte das geplante »Freihandelsabkommen« (TTIP) abgeschlossen werden, so wird alles noch schlimmer kommen: Dann wird der Allgäuer Bauer unmittelbar mit dem Großunternehmer in Texas konkurrieren müssen, der in seinen Viehfabriken fünftausend Rinder und mehr mit billigem Mais und Soja füttert und mit Hormonen zu Höchstleistungen antreibt! Sollen wirklich auch in Deutschland künftig nur die Großbetriebe mit mehreren hundert oder gar tausend Milchkühen überleben? (In der Schweine- und Geflügelzucht sind wir ja schon heute so weit!) Sind wir uns bewusst, welchen Preis wir für die – im wahrsten Sinne des Wortes – »billigen« Nahrungsmittel aus industrieller Produktion zahlen?

Einige Stichworte: (a) Zerstörung einer uralten Kulturlandschaft, (b) Zerfall dörflicher Lebensgemeinschaften, (c) fortschreitendes Artensterben (Bienen, Insekten, Schmetterlinge, Frösche, Kröten, Vögel…), (d) »Lebens«mittel, die ihren Namen nicht verdienen (die im Supermarkt angebotene Milch ist ja schon heute ein Kunstprodukt mit zweifelhaften ökotrophologischen Eigenschaften).

Folgender Vorschlag könnte einen Ausweg aus der »Modernisierungsfalle« darstellen: Die Allgäuer Bauern machen ihre Milch und deren Produkte zu einer (geschützten) Marke – so wie etwa die fränkischen Winzer ihren Wein. Sie schaffen durch entsprechende Werbemaßnahmen eine emotionale Bindung zu aufgeklärten und naturliebenden Verbrauchern, die bereit sind, einen fairen Preis zu zahlen. (Hofläden sind bereits jetzt Vorbild für einen solchen Ansatz, wenn auch in kleinem Maßstab). Sie verabschieden sich so vom aussichtslosen Rennen mit Konkurrenten, die schon längst keine Bauern, sondern nach den Regeln industrieller Produktion handelnde Unternehmer sind. Nur qualitativ hochwertige Erzeugnisse können dem Allgäuer Bauern auf Dauer das wirtschaftliche Überleben sichern – denn was er mengenmäßig liefern kann, wird immer nur ein Tropfen im globalen Milchsee sein.

Was wir brauchen, ist eine Allianz von Bauern, Naturschützern und Verbrauchern, wenn eine der schönsten Kulturlandschaften Europas nicht zugrunde gehen soll!

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