Jeans, Minirock, Kopftuch, Soutane, Burkini – Kleidungsstücke als Waffen im Kulturkampf

Karrikatur: Bademode 1858

So sah er aus, der europäische Burkini (1858) … mit weniger Stoff wurde Madame verhaftet!

Klimaveränderung, weltweite Flüchtlingsbewegung, der Nahe Osten in Flammen – gibt es nicht wichtigere Themen als die Frage, wie Frauen sich zu kleiden haben? Schaut man sich in diesen Tagen die Debatten an den Stammtischen und den Massenmedien an, so lautet die Antwort: Nein. Grund genug, sich auch im OHA einmal Gedanken darüber zu machen, was von der allgemeinen Erregung zu halten ist.

Anfang der 1970er Jahre lebte und arbeitete ich in Tansania. Die dortige Einheitspartei TANU verfolgte die Politik des »Afrikanischen Sozialismus«, und sie setzte u. a. eine anti-westliche Kampagne in Gang, die wir als schlicht lächerlich empfanden: Die damals in Mode gekommenen Jeans mit ausgestellten Hosen (sogenannte »bell-bottom-trousers«) wurden ebenso als »un-afrikanisch« und westlich dekadent gebrandmarkt, wie lange Haare oder lackierte Fingernägel. Plakate wiesen auf die neue Kleiderordnung hin und Angehörige der Parteijugend kontrollierten in den Straßen deren  Einhaltung. Wie gesagt, wir amüsierten uns darüber und es war für uns unvorstellbar, dass es so etwas im aufgeklärten Europa jemals geben könnte.

Ich hatte vergessen, dass meine Großtanten entrüstet auf die ersten Miniröcke reagierten, sie waren ja noch der Nazi-Ideologie verhaftet, der ebenfalls eine klare Vorstellung zugrunde lag, wie sich der deutsche Mensch zu kleiden bzw. zu benehmen hat: „Die deutsche Frau raucht nicht / lackiert sich nicht die Fingernägel / zieht sich »anständig« an; der deutsche Mann hat kurz geschnittene, artig gescheitelte Haare (möglichst auf der linken Seite, wie Adolf).“

Dann war eine Weile Ruhe an der Kleiderfront, bis ein gewisser Thilo Sarrazin das Kopftuch als ideologische Waffe gegen muslimische Migranten entdeckte. Kopftuchtragende junge Frauen gaben sich – laut Sarrazin – als dumm, faul, rückständig, unterdrückt und vielleicht sogar gefährlich zu erkennen. (Derartige Eigenschaften waren bis dahin über Jahrhunderte hinweg weder der Kopftuch tragenden Mutter Gottes, noch den Bäuerinnen auf den Wochenmärkten deutscher Städte zugesprochen worden. …)

Und jetzt geht es um Burka, Niqab und Burkini – und da beginnt auch für mich die Sache kompliziert zu werden: Ein Mensch, der mir wie ein Gespenst, total verhüllt (bei der Burka sind nicht einmal die Augen durch das engmaschige Gitter zu sehen) begegnet, ist mir unheimlich und für mich ist beim Anblick einer solchen Gestalt die Menschenwürde verletzt. Ist doch das Gesicht eines Menschen, seine Augen zumal, die »Schnittstelle« zu seiner Seele! Ich habe aber auch unangenehme Empfindungen, wenn ich hierzulande entblößte Frauenkörper auf öffentlichen Werbeflächen oder dickbäuchige Männer mit nacktem Oberkörper in einem Straßencafé sitzen sehe. Können wir uns nicht darauf einigen, dass zwischen den beiden Extremen – völlige Nacktheit und völlige Verhüllung – alles möglich und erlaubt ist, wobei in Gerichtssälen, Schulen, Kirchen, Moscheen, Synagogen, den besonderen Funktionen dieser Orte entsprechend, besondere Verhaltensregeln verbindlich vorgeschrieben werden? Ich bin mir durchaus bewusst, dass es fundamentalistisch-islamistische Kreise gibt, die in Niqab und Burka eine ideologische »Waffe« sehen, die es im Kampf gegen den verhassten »Westen« einzusetzen gilt. Aber wir sollten diesen Fanatikern nicht den Gefallen tun, auf diese Art der Auseinandersetzung einzugehen und uns so mit ihnen gemein zu machen!

Erinnern wir uns an die grotesken Debatten über die Trennung von Kirche und Staat in Frankreich im Jahre 1905: Da brachten antiklerikale Abgeordnete in der Nationalversammlung einen Antrag auf Verbot des Tragens der priesterlichen Soutane ein, mit folgenden Begründungen:

  1. Das öffentliche Tragen der Soutane sei keine religiöse Pflichterfüllung, sondern die rein politische Demonstration eines fanatischen Katholizismus, der einer fremden Macht (Rom) folge.
  2. Die Soutane stelle eine Störung der öffentlichen Ordnung dar, denn sie provoziere Übergriffe empörter Bürger.
  3. Wer das Priestergewand trage, errichte eine Barriere zwischen sich und der Mehrheitsgesellschaft und
  4. Die Soutane versklave die Priester, man müsse diese befreien.

Klingt das nicht alles absurd –und doch sehr vertraut?

Also: Erregen wir uns nicht über die Länge des Rocksaums, über das Tragen von Kopftüchern oder darüber, wie viel Quadratzentimeter Stoff eine Frau am Körper zu tragen hat, wenn sie sich am Strand sehen lässt. Wir machen uns bestenfalls lächerlich und im schlimmsten Fall stellen wir uns auf eine Stufe mit den Fanatikern des sogenannten »Islamischen Staates«. Denn stellen wir uns mal konkret folgende Situation vor: Zwei junge Damen im Burkini (also im Ganzkörper-Badeanzug) lassen sich am See auf der Liegewiese nieder. Werden dann künftig erzürnte Bürger den Damen die Kleidung vom Leib reißen? Oder rückt dann die Polizei an und stellt die Personalien fest? Oder werden vorbeugend Angehörige der AfD/CSU-Parteijugend auf der Suche nach Frauen mit zu viel Stoff am Leib die Freibäder durchstreifen, so wie es die Islamisten auf den Straßen ihres Herrschaftsgebiets tun, um ungenügend Bekleidete ausfindig zu machen? Und wie sollen die Sittenwächter reagieren, wenn sie im Schwimmbad auf Nonnen in vollem Ornat oder Sportlerinnen in Neopren-Tauchanzügen treffen?

Nein, besinnen wir uns auf das Wesentliche: Auf eine Diskussion über die Wesensmerkmale der Würde des Menschen und darüber, wo wir selbst sie allzu oft verletzen (beginnen könnten wir dabei bei so mancher TV-Reality-Show …).

Eine Diskussion wäre sicherlich auch zu führen über die Frage, wie in der heutigen globalisierten Welt gelebte Toleranz aussehen sollte. Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang an die gerade in Bayern traditionell hoch gehaltene Devise:

»Leben und leben lassen« …!

Wolfgang Fischer

 

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