„Man kann als Einzelner nur stark werden durch die Gemeinschaft, in der man aktiv ist…“
Herwarth Stadler kann auf ein 62-jähriges gewerkschaftliches Wirken zurückblicken. Auf der GEW-Seite, die erstmals in dieser Ausgabe erscheint, erzählt er über seinen Werdegang insbesondere in der Nachkriegszeit. Ungebrochen ist sein Interesse an aktuellen Entwicklungen wie den Marrakesch-Prozess.
Im Januar hat der GEW-Kreisverband den ehemaligen Berufsschullehrer zum Ehrenvorsitzenden ernannt.
Wie bist du eigentlich zur Gewerkschaft gekommen?
H.S.: Ich bin seit Mai 1948 gewerkschaftlich organisiert. Damals gab’s noch keine GEW, es gab Gewerkschaftsbünde in den Ländern. Durch die Vermittlung der Gewerkschaft Landwirtschaft und Forsten in Stuttgart, der ich beigetreten war, fand ich damals einen Job bis zur Prüfung.
Wie war denn damals in den Jahren nach dem Krieg die Situation auf dem Arbeitsmarkt?
H.S.: Bei Kriegsende war ich in russischer Gefangenschaft und floh aus einem Lager in Rumänien heim nach Oberbayern. Ich bin ja in München geboren und habe in den ersten Nachkriegsjahren zunächst im Landkreis Fürstenfeldbruck auf einem Gut im landwirtschaftlichen Bereich gearbeitet. Dann war ich je ein Jahr im Landschaftsgartenbau tätig und auf einer Staatsdomäne in Baden-Württemberg Praktikant, wo ich mit Vieh- und Pferdezucht beschäftigt war – mit Fachprüfungsabschluss im Wunschberuf.
Wie viel konnte man denn damals so verdienen?
H.S.: Vor der Währungsreform gab’s in der Landwirtschaft für Ledige Deputat und 20 Reichsmark im Monat. Ein verheirateter Lehrer bekam monatlich 120 und ein Junglehrer 80 RM. Ein Schreiner bzw. Stellmacher verdiente 37 RPfg pro Stunde.
Hattest du auch was mit der Schreinerei zu tun?
H.S.: Für Kriegsteilnehmer gab es eine Sonderregelung für Berufsabschlüsse. Ich habe zunächst in Rosenheim in der Holzindustrie gearbeitet, in Abendkursen Buchhaltung gelernt und die Refa-Scheine erworben. Im Herbst 1950 bestand ich die Facharbeiterprüfung, 1952 die Industriemeisterprüfung und war ein Jahr Betriebsleiter in Dinkelsbühl. Deshalb war ich in die Gewerkschaft Holz übergetreten.
Und wie bist dann zur GEW gekommen?
H.S.: 1953 war ich kurz arbeitslos, habe in München einen Dozenten für Berufsschullehrer getroffen und die Studienaufnahmeprüfung am BPI mitgemacht. Die GEW gibt es in Bayern seit 1952. Sie wurde von unzufriedenen BLLV-Mitgliedern gegründet, die mit dieser Standesvertretung nicht mehr einverstanden waren. Als angehender Berufsschullehrer wechselte ich natürlich zur GEW. Ich war Mitglied Nr. 257. Als Referendar kam ich 1955 mit einem Arbeitsvertrag nach Peißenberg und unterrichtete zehn Jahre lang in der Bergmännischen Betriebsschule, damals eine Außenstelle der Verbandsberufsschule Weilheim. Meine Fächer waren Fachrechnen, Fachzeichnen, Deutsch, Sozialkunde. Bis zu meiner Pensionierung 1987 unterrichtete ich dann an der Berufsschule in Weilheim in der Fachsparte Holz und Bau auch Fachtheorie.
Hat sich durch die GEW in der Bildungspolitik was geändert?
H.S.: Viele Vorschläge kamen über die Oppositionsparteien in den Bayerischen Landtag und wurden dann später oft von der CSU, meist leicht verändert, als eigene Vorschläge eingebracht und als Fortschritt eingeführt.
Was war für dich das Besondere an der GEW?
H.S.: Man kann als Einzelner nur stark werden durch die Gemeinschaft, in der man aktiv ist. Die GEW kennt keine Standesdünkel und steht für eine standeslose Gesellschaft. Der Philologenverband z. B. vertritt ja nur die Interessen der Akademiker.
Was bewegt dich zurzeit?
H.S.: Der Marrakesch-Prozess. 2011 ist Berichtsjahr für die UNO. Thema ist die Umstellung der Gesellschaft auf eine nachhaltige Lebensweise als Bildungsziel vom Kindergarten bis zur Universität. Dazu schreibe ich noch was, für die GEW und den OHA!
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