Hinter dem Berg ist ein Berg: »deyè mòn se yon mòn« …
… so lautet ein haitianisches Sprichwort und drückt viele Befindlichkeiten gleichzeitig aus. Meist sagt man damit, dass eine Sache sehr mühsam oder langwierig ist.
Gestern, nach 9 Stunden „en route“ retour in die Stadt, war ich abends noch bei einer Filmvorführung in einer neuen, gerade angesagten Kneipe (die erste Schwulenkneipe, sie ist jedoch nach kurzer Zeit wegen Unstimmigkeiten im selbigen Verein in die Hand einer Familie der politischen Opposition gewechselt).
Im Rahmen einer Themenfilmreihe eines NGO-Netzwerkes wurde eine Produktion des Landwirtschaftsministeriums gezeigt. Es ging um Verbauungen, die allerorten mit viel Arbeit, viel Beton und viel Spendengeld die laufende Erosion der Bäche und die Wassermassen während der Zyklone bremsen sollen. Häufig werden gleichzeitig Wasserrückhaltebecken errichtet, die den Bauern mehr Wasser während der Trockenzeit oder Gießwasser für alternative Kulturen zur Verfügung stellen.
Technisch war der Film erstaunlich neutral, das heißt neben vielen, ihre Projekte und Leistungen lobenden Agronomen kamen auch Bauern zu Wort die meinten, das hält alles doch nicht! Oder ein Musikant, der kritisierte, dass diese Verbauungen jetzt schon seit mehr als 30 Jahren ohne wesentliche Veränderungen errichtet werden.
Hinter dem Berg ist ein Berg. Das ist geographisch in weiten Teilen des Landes so. Daher bin ich schon wegen der Masse der nötigen Barrieren sehr kritisch, was die technischen Verbauungen angeht. Ich meine, das ist Symptomlinderung statt Ursachenbekämpfung. Denn die Erosion kommt mit der Abholzung der Hänge und den Ackerkulturen an den Steillagen. Die wiederum sind geschuldet dem Bedarf der ländlichen Bevölkerungsexplosion der vergangenen Jahrzehnte. Ich weiß nicht, ob die Rechnung aufginge, aber ich habe oft im Kopf, die ganzen Berge wieder aufzuforsten, und statt das ganze Holz zu importieren, ein paar Schiffe mehr Nahrungsmittel zu ordern. Reissäcke sind in jedem Fall billiger zu transportieren als Bauholz, Möbel oder Brennstoff.
Klar ist das eine theoretische Rechnung. Denn den Bauern die Selbständigkeit und ihre Kultur zu nehmen wäre weder korrekt noch durchführbar. Und die Landesernährung mit der Weltmarktproduktion abzusichern ist auch keine angesagte Maßnahme. Dennoch würde mich ein solches Kalkül interessieren. Entwicklung heißt Veränderung!
Im Film wurde neben kritischen Bauern und Künstlern auch das Thema der nicht existierenden Familienplanung auf dem Land angeschnitten. Ich bin seit langem dafür, Geburtenkontrolle aus dem Gesundheitsbereich in die Domäne Ressourcenschutz zu verlagern. In meinem Projekt habe ich mich sehr dafür ausgesprochen. Leider ohne Erfolg. Es war zwar geplant, etwas Sensibilisierung zu Geburtenplanung im Rahmen der Hygieneschulung durchzuführen, die mit dem Zisternenbau verbunden wird. Doch am Ende ließen Budgetkürzungen als erstes die Familienplanung unter den Tisch fallen.
Meine beiden Nachbarn, oben am Berg, wo ich gerade dabei bin, ein eigenes Häuschen zu beziehen, dürfen die Hälfte des Dachwassers meines Hauses nützen. Das geht aber nur, weil ich ihnen eine 2 Kubikmeter Plastikzisterne organisiert habe. Sonst müssten ihre schwangeren Frauen wie bisher in der Trockenzeit ein bis zwei Stunden einfach bergab laufen, um die täglichen 20 Liter Wasser auf dem Kopf für den Mann, sich und ihre noch kleinen Kinder herbeizuschaffen. Ein Glück für die eine, dass ihre neue Schwangerschaft in die Regenzeit fällt. Was ihr noch fehlt sind heranwachsende Kinder, denen dann das Wasserholen auferlegt werden kann.
Sarkasmus scheint durch? Ja! Doch angesichts der vielen vielen Berge schafft (schwarzer) Humor zuweilen Abstand und Linderung, wenn auch für die eigene Arbeit gilt: hinter dem Berg ist ein Berg.
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