Vortrag des hochrenommierten Verkehrsspezialisten Prof. Dr. Heiner Monheim (Mitgründer, Mitinhaber und Projektleiter des Instituts für Raumentwicklung und Kommunikation »raumkom« in Trier, Bonn, Malente) in Waalhaupten zum Thema »Attraktive Nahmobilität in ländlichen Gebieten«
Charly Höß, erster Vorsitzender des Vereins »Waal – das lebenswerte Dorf e. V.«, begrüßte als Veranstalter die Anwesenden. Prof. Monheim, so Höß, werde in seinem Vortrag Möglichkeiten der Verkehrswende aufzeigen und nachhaltige Konzepte vorstellen.
Schrumpfung des Bahnnetzes
Heiner Monheim, der Mitbegründer der Initiative für eine bessere Bahn (IFBB), begann seinen Vortrag mit Fakten: In den 1920er Jahren gab es in Deutschland ein dichtes Bahnnetz. „Jeder Unternehmer hat nicht gerastet und geruht, bis sein Unternehmen an das Bahnnetz angedockt wurde.“ Seit 1960 wurde das Schienennetz systematisch „geschrumpft“. Innerhalb von 40 Jahren gingen 12 500 Kilometer Schienennetz verloren: 30 % der Fernbahn, 60 % der Regionalbahn, 62 % des Straßenbahnnetzes und 43 % der Bahnhöfe. Das Fahrrad war bis in die 1950er Jahre das dominierende Fahr-Verkehrsmittel: Im Einkaufs-, Berufs- und Ausbildungsverkehr betrug der Fahrradanteil vielfach 30 %.
Deutschland im Straßenbau-Fieber
Der Trend zur Zentralisierung von Schulen, Krankenhäusern, Verwaltungen, Einzelhandel und Kultureinrichtungen nimmt stetig zu. Der Staat gibt pro Jahr 2,5 Milliarden Euro für Schulbusse usw. aus. Aus der Flächenbahn (im Personen- und Güterverkehr) wurde eine Korridorbahn, denn Deutschland befindet sich im Straßenbau-Fieber. Busse und Bahnen geraten immer mehr ins Abseits der Verkehrspolitik, Netze und Bahnhöfe werden stillgelegt, Takte ausgedünnt, Tarife immer komplizierter. Die Güterbahn wird marginalisiert. Deutschland wird zum Stauland. „Stau ist unser erfolgreichstes Problem-Exportgut“, so der Verkehrsforscher. Der Lkw-Verkehr ist ein massiver Stauverursacher. Die Hälfte aller Staus entsteht wegen unterschiedlicher Geschwindigkeiten. Staus aus dem Nichts werden wir los, wenn wir weniger Autos haben. Täglich werden 160 000 000 leere Autositze durch die BRD chauffiert. 160 Millionen Stell- und Parkplätze blockieren in Städten und Dörfern den öffentlichen Raum, die Geh- und Radwege. Die Renaissance der Städte klappt nur mit weniger und effizienterem Autoverkehr.
Fazit: Eine Verkehrswende ist zwingend und erfordert einen starken Umweltverbund von Stadt und Land. Der ländliche Raum muss dazu beitragen, dass sich der Verkehr verändert. Mit dem Autoverkehr eng verknüpft ist auch das Klima-Problem.
„Wie lange lavieren die Regierungen noch? Die Politik kann nicht mehr so weitermachen wie bisher“, so Monheim und verwies auf die »Fridays for Future«-Demonstrationen der Schüler- und Studierendenbewegung weltweit. Es gilt, die Klima-Politik ernst zu nehmen und das Ruder herumzuwerfen.
Heiliger Auto-Verkehr
Mit dem umgangssprachlichen Wort »Verkehr« ist meist nur der Autoverkehr gemeint. Es gibt aber auch den Fuß-, Rad-, Bus- und Bahnverkehr. Auch Car-Sharing gehört zum Verkehr. Eine Fußgängerzone gilt vermeintlich als »verkehrsfrei«, obwohl dort viel mehr (Fußgänger-)Verkehr stattfindet als vorher. Als »ruhenden Verkehr« bezeichnen viele Menschen nur den parkenden Verkehr, aber auch stehende und sitzende Fußgänger brauchen Platz.
Der »Urbanit« (Mensch in der Stadt) kommt mit wenig Aufwand an viele Ziele, während das »Landei« (Mensch auf dem Land) lange Distanzen zurücklegen muss, dafür wenige Angebote zur Verfügung hat und einen großen Aufwand betreiben muss.
Ansätze für eine Verkehrswende
Jeder kann individuell daran mitwirken. Je nach Haushaltssituation (Familie, Single), Wohnstandort, Verkehrssozialisation (Woran bin ich gewohnt? Was habe ich gelernt?), eigenen Präferenzen (Was liebe ich? Was hasse ich?), Finanzen und Mobilitätsausstattung (Pkw-, Fahrrad- oder Abo-Besitz) wird sich dies unterscheiden.
Politik und Verwaltungen haben als Akteure große Lenkungsmöglichkeiten: Welche Prioritäten setzen sie? Wie verteilen sie ihre Gelder auf die einzelnen Verkehrsarten? Über welche Fuhrparks (Dienstwagen, Diensträder, E-Fahrzeuge) verfügen sie? Welche eigenen Verkehrsunternehmen betreiben sie?
Die Wirtschaft ist ebenso ein wichtiger Beteiligter, der viel zur Verkehrswende beitragen könnte. Welche Prämienregelungen gibt es im Betrieb (freies Parken? Jobticket, Geh- und Radl-Prämien)? Über welche Ausstattung verfügt das Unternehmen (Auto-Parkplätze, Fahrrad-Parkplätze, Zugänge für Fußgänger und Radfahrer, ÖPNV-Haltestellen, Schienenanschluss)? Welche verkehrsvermeidenden Zusatzangebote wie Werkswohnungen, -kindergarten, -busse und -fahrräder bietet das jeweilige Unternehmen an? Früher war das normal. Heute sagt der Unternehmer, ist mir doch egal. Bedenkenswert für Arbeitgeber ist auch dies: Ein Arbeitnehmer, der mit dem Bus oder Fahrrad zur Arbeit kommt, hat in der Regel ein Drittel weniger Fehltage; er ist offensichtlich gesünder.
Verkehrsangebote im ländlichen Raum
In Deutschland gab es früher überall den Post- und Bahnbus. Derzeit sind die ländlichen Regionen stark autofixiert. Es gibt viele Straßen (Autobahnen, Bundes-, Landes-, Kreisund Gemeidestraßen), viele neue Ortsumfahrungen und ein üppiges Parkraum-Angebot.
Der öffentliche Verkehr ist wenig attraktiv. „Bei uns verabschiedet sich der öffentliche Bus-Verkehr am Wochenende in die Depots“, so Heiner Monheim. Es muss endlich Schluss damit gemacht werden, den öffentlichen Verkehr als Rest-Angebot für Schüler zu definieren! In der Schweiz hat man von jedem Ort des Landes Anspruch auf Anschluss an das Fernnetz innerhalb einer Stunde. Ruf-Taxis fahren dazu sogar auf die Almen. Auch der vergleichbare ÖPNV Südtirols könnte als Vorbild für den künftigen öffentlichen Verkehr in Deutschland dienen.
80 % aller Lkw-Fahrten geschehen im Regional-Bereich, die Bahn kümmert sich leider nicht mehr darum. Monheim dazu: „Wir müssen ständig auf der Matte stehen und die Politiker schütteln und rütteln.“ Wie bekommen wir die Autobahn »ent-Laster-t«? Der Gesetzgeber muss endlich auch an den Güterverkehr denken.
50 % der individuellen Autofahrten sind kürzer als 5 Kilometer, 33 % sogar unter 3 Kilometer. Ziel muss es sein, dafür zu sorgen, dass nicht mehr so viele Kurzstrecken mit dem Auto gefahren werden.
Verkehrswende im ländlichen Raum
Der Nahverkehr muss in Zukunft anders organisiert, die Trägerschaft der Aufgaben anders geregelt werden: Landkreise sollten für die regionale Mobilität, Gemeinden für die lokale Mobilität zuständig sein.
Alle Verkehrsarten brauchen künftig hierarchische Netze, aber gewohnt sind wir das nur vom Straßennetz und vom Schienennetz. Das müssen wir erst noch lernen. Wir denken zu klein, wenn es um den Fußgänger- und Radverkehr geht.
Es braucht künftig Dorfbusse, auch Quartiersbusse (für Entfernungen von 2 km), Regionalbusse (Mini-Busse mit 15 Plätzen) zur Feinerschließung und Schnellbusse (die seltener halten).
Monheim berichtete über den Stadtbus Lemgo (NRW): Angeboten wird dort ein dichter Taktverkehr (werktags 15 Minuten) mit einem Rendezvous-System (Umsteigen auf andere Linien). In Lindau verbindet der Stadtbus von frühmorgens bis spätabends alle Stadtteile im Halbstundentakt. Der Stadtbus macht Lindau mobil und trägt dazu bei, dass viele Bürger*innen ihr Auto stehen lassen und damit einen wichtigen Beitrag für die Umwelt leisten.
Irmgard Schreiber-Buhl, Schongau
(Teil 2 folgt im nächsten OHA)
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