»Ihr seid Sieben – wir sind Viele!« …
… stand auf einem der Plakate, die auf dem kilometerlangen Demonstrationszug zum G 7-Gipfel am 4. Juni in München mitgeführt wurden. Und in der Tat: Es waren sehr Viele – trotz herrlichstem Sommer-Badewetter. Selbst Papst Franziskus war (wenn auch nicht leibhaftig) unter den Demonstranten und hielt ein Schild hoch mit einem Kernsatz aus seiner letzten Enzyklika, »Diese Wirtschaft tötet!«
Zu Beginn hatte der Kabarettist Arnulf Rating den Demonstranten ein Zitat Friedrich Schillers mit auf den Weg durch die Münchner Innenstadt gegeben: „Die Großen hören auf zu herrschen, wenn die Kleinen aufhören zu kriechen!“ Dieses Dichterwort beherzigte eine unübersehbare, bunt gemischte Menge, die – wie schon zuvor auf dem »Internationalen Gipfel der Alternativen« – ihren Unmut über die Regierung Merkel/Gabriel und die Politik der G 7 artikulierte, der sie entgegenhielt, „Die Welt ist keine Ware!“, „Wir haben es satt!“, „Klima retten“ und, immer wieder, „Stoppt TTIP!“ Über 30 Organisationen der Zivilgesellschaft waren sich in dieser Forderung einig, darunter ATTAC, Campact, Bund Naturschutz, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Gewerkschaften, Brot für die Welt, Misereor, die JUSOS, die GRÜNEN und DIE LINKE, um nur einige zu nennen. Sogar Polizisten mischten sich unter die Demonstranten (wenn auch vermutlich in dienstlichem Auftrag), nicht selten wurden sie in lebhafte, aber friedliche Diskussionen verwickelt. Es fehlte nur der so oft vom bayerischen Innenminister Herrmann beschworene »schwarze Block gewaltbereiter Chaoten« – die einzige Ansammlung schwarz gekleideter Gestalten waren die Hundertschaften der Bereitschaftspolizei, die aus der ganzen Bundesrepublik zusammengekarrt worden waren und den Zug »beschützten«. Sie schauten gelangweilt, bisweilen aber auch recht interessiert dem Treiben zu und als ich einen von ihnen fragte, ob er sich nicht einreihen und mitlaufen wolle, antwortete der „Wollen tät ich schon…“
Eines wurde also ganz offensichtlich: Hier protestiert die »Mitte der Gesellschaft« und der Protest wird von allen Generationen getragen, so wie in früheren Jahren der (letztlich erfolgreiche!) Widerstand gegen die Nachrüstung oder wie der Kampf gegen die Atomindustrie. Es zeigte sich auch, wie falsch es ist, von der »Politikverdrossenheit« der Menschen zu reden. Richtig ist allerdings, dass den Volksparteien das Volk abhanden zu kommen droht – der CDU etwa Teile der Kirchen und des Mittelstandes, der SPD die von Gerhard Schröder seinerzeit umworbene »Neue Mitte« und Teile der Gewerkschaften. Die Folgen werden sich zeigen. Ein kluger Kopf hat einmal gesagt, „Wenn die Regierung tut, was 80 Prozent der Bevölkerung nicht will, dann hat die Demokratie ein Problem“. Das Problem wird vermutlich darin bestehen, dass die schon jetzt immer geringer werdende Wahlbeteiligung künftig weiter sinkt! Wie steht es dann auf Dauer mit der Legitimation der Regierung?
Die Potentaten dieser Welt (die allerdings von Jean Ziegler, dem früheren UN-Bevollmächtigten für Ernährungsfragen in einer Ansprache an die Demonstranten lediglich als „Handlanger und Erfüllungsgehilfen der internationalen Konzerne“ bezeichnet wurden) glauben allerdings, den lautstarken Protest ignorieren zu können. So schweben sie aus ihren jeweiligen Hauptstädten am Münchner Flughafen ein, werden dort vom bayerischen Landesfürsten Seehofer mit seiner Schar handverlesener Eingeborener in Dirndl und Lederhose begrüßt – und schon heben sie im Hubschrauber wieder ab Richtung Schloss Elmau, ihrem zum Hochsicherheitstrakt ausgebauten Wolkenkuckucksheim. Dort angekommen, wurde den Gästen erneut der Eindruck vermittelt, Deutschlands Bevölkerung bestehe – neben Polizisten – ausschließlich aus glücklich dreinschauenden und folkloristisch herausgeputzten Menschen. So kennt man das ja auch aus anderen Gegenden der Welt: In Polynesien werden fremde Häuptlinge von Hula-Hula-Mädchen in Baströckchen empfangen, in Ostafrika tanzen Massai-Krieger im Lendenschurz zur Begrüßung, in Kanada federgeschmückte Indianer. Und in Bayern sind’s halt Mannsbilder mit Gamsbart am Hut und fesche Madln im Dirndl, Bierkrug in der einen Hand, Brezn in der anderen. „Tja, so san’s, die Deutschen“, denkt das fremde Staatsoberhaupt, das mit Sorgfalt vom gemeinen Volk ferngehalten wurde: Nicht einmal 50 (in Worten: Fünfzig!) Gipfelgegner durften sich den angsterfüllten Potentaten auf Sicht- und Hörweite nähern – mehr Paranoia geht nicht, Putin lässt grüßen!
Und was ist bei dem Spektakel herausgekommen? Das Übliche: Ziele werden „bekräftigt“, Absichten „erklärt“, Putin einmütig getadelt, Griechenland ermahnt, die Bedeutung des TTIP-Abkommens „für Wachstum und Wohlstand betont“, die Armen dieser Welt vertröstet – alles „Beschlüsse“, die wohl auch in einer Telefonkonferenz hätten gefasst werden können. Auf jeden Fall Beschlüsse, welche die Kluft zwischen den Regierenden und den Regierten weiter vergrößert.
Teile der Medien (und viele Politiker natürlich) feierten den Gipfel jedoch als „Erfolg“, schließlich hätten Seehofer und Merkel die erhofften publikumswirksamen Fotostrecken bekommen, mit denen sie die Wähler zu beeindrucken gedenken. Die mit zirka 300 Millionen Steuergeldern sündhaft teuer bezahlten Bilder von der Sause im hermetisch abgeriegelten Schloss am Fuße des Wettersteingebirges – sie werden mit Sicherheit keinen Einzigen der 40.000 Menschen überzeugen, die am 4. Juni für eine lebenswerte Welt in München auf die Straße gegangen sind!
Wolfgang Fischer
Auch in Garmisch: eine friedliche Demo gegen den G7 Gipfel. (Fotos: Reinhard Böttger)
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