Rainer Seltmann (Bautechniker, 24 Jahre) beim Abschiedsbesuch bei seinen Großeltern Marianne und Hartmut in Penzberg
M: Also, Rainer, ich kann es immer noch nicht fassen, dass du als Entwicklungshelfer ausgerechnet nach Äthiopien gehen willst.
R: Oma, dort ist es nicht so gefährlich, wie es in unseren Medien manchmal aufscheint. Und, Oma, gerade dort brauchen sie Leute wie mich.
H: Aber hier wirst du doch auch gebraucht, Rainer.
R: Nicht so dringend, Opa. Und außerdem, Opa, in unserem Land läuft seit Langem zu viel in die verkehrte Richtung. Wenn ich nur an den Regierungswechsel denke, mir hallt es heute noch in den Ohren: „Fortschritt, Wachstum, das Land nach vorne bringen, den Wohlstand sichern!“ Es wird bei uns auch mit den Grünen so weiterlaufen wie bisher. Ich kann keine Abkehr von unserem schadensträchtigen Wohlstand erkennen, einem Wohlstand, der sich vor allem auf enormen Energie- und Rohstoffverbrauch stützt und zulasten der halben Welt geht. Ein naturverträgliches Leben, Opa, ist bei uns nach wie vor nicht das erste Ziel.
M: Im Großen und Ganzen hast du ja leider Recht, Rainer. Aber es gibt in unserem Land auch eine Bewegung gegen das aufwändige Leben, in die du dich einbringen könntest.
R: Stimmt, Oma. Aber hier wäre ich nur ein Tropfen, der auf dem heißen Stein Deutschland umgehend verdampft. In Äthiopien dagegen kann ich mithelfen, dem Land eine Zukunft zu geben und es zu festigen.
H: Du, das wird aber auch ein hartes Brot werden. In Äthiopien, ja im Grunde in ganz Afrika, bestimmen den Lauf der Dinge doch in aller Regel skrupellose Oberschichten.
R: Aber immer mehr Organisationen und Menschen aus aller Welt wollen mit dazu beitragen, dass sich dort die Verhältnisse ins Positive wenden und die negativen Einflüsse, die in den letzten Jahrzehnten nicht zuletzt die Industrienationen ausgeübt haben, abgebaut werden.
M: Aber gegen die schädlichen Wirkungen, die die Industrienationen auslösen, könntest du doch auch bei uns ankämpfen, Rainer!
R: Stimmt wieder, Oma. Aber hier würde ich wirkungslos bleiben. Die Bundesrepublik will ihren Kurs im Grunde nicht ändern, sie hat sich festgefahren. In Afrika kann ich aber mit vielen anderen Hilfskräften eine Wende von unten herbeiführen. Ich kann mit dazu beitragen, dass sich der Kontinent auf sich selbst besinnt, dass er wieder selbstständig wird. Ich kann mithelfen, eine kleinräumige und naturverträgliche Kreislaufwirtschaft zugunsten aller aufzubauen. Eine Wirtschaft, die allen nützt und nicht vorrangig der Oberschicht und den Investoren aus aller Welt.
H: Das wäre aber auch bei uns notwendig, Rainer! Unsere Wirtschaft hat sich zunehmend in eine Richtung entwickelt, die in erster Linie einigen wenigen zum Vorteil gereicht, die darüber hinaus die Umwelt schwer schädigt und geradezu gefährlich weltweit verknüpft ist, was nicht nur die letzten Entwicklungen deutlich machen.
R: Ja ihr zwei, (schaut vom Opa zur Oma) eigentlich braucht auch unser Land Hilfskräfte, aber das müssen Leute sein, die einen längeren Arm haben als ich.
M: Du hast Deutschland aufgegeben, Rainer. Sehe ich das richtig? (drückt seine Hand)
R: Jein. Manchmal, Oma, denke ich schon, dass auch unser Land die Chance hat, sich von unten heraus zu reformieren.
Guggera
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