Nachdem die Sozialisten und Sozialdemokraten den EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz zu ihrem Spitzenkandidaten erklärt hatten, entschloss sich auch die EVP einen Spitzenkandidaten aufzustellen. Die Wahl fiel auf Jean Claude Juncker, langjähriger Präsident der Eurogruppe, erfahrener Europapolitiker, konservativ-liberal. Der Sieger sollte Kommissionspräsident werden, so jedenfalls wurden die Wähler informiert. Am Ende siegte der Kandidat der EVP, Jean Claude Juncker.
Man mag einwenden, dass die Wahlbeteiligung bei der Europawahl sehr gering war. Aber dieses Argument würde auch für viele nationale Wahlen gelten. In der Demokratie zählen eben nur die abgegebenen Stimmen.
Dass die Wähler offenbar ihre Stimmen im Wortsinne »abgegeben« haben, sollte sich erst jetzt nach der Wahl herausstellen. Denn nun soll Juncker vielleicht doch nicht Kommissionspräsident werden. Dagegen ist vor allem der Brite Cameron, der gar mit einem Austritt aus der EU droht, sollte Juncker vereinbarungsgemäß das Amt übernehmen. Starker Tobak! Aber niemand weiß heute, ob die Briten nicht sowieso austreten.
Aus kontinentaler Sicht ist Großbritannien zweifellos ein Teil von Europa. Ob es aber Großbritannien nach der Volksabstimmung in Schottland noch geben wird, ist eine andere Frage.
Bundesaußenminister Steinmeier meint, Großbritannien leiste „einen entscheidenden Beitrag zur gemeinsamen europäischen Außenpolitik.“ (SPIEGEL Nr. 24/14).
Ist das wirklich so? Ist Großbritannien nicht eher die Stimme der USA in Europa? Vertritt Großbritannien nicht explizit die neoliberale Wirtschaftspolitik, welche Europa an den Abgrund geführt hat? Braucht Europa die Engländer, wenn diese nur die wirtschaftlichen Vorteile der Union für sich in Anspruch nehmen wollen? Man erinnert sich an Margaret Thatchers Spruch: „I want my Money back“!
Eines der verbündeten Länder von Cameron ist Ungarn, wo gerade die Pressefreiheit abgeschafft wird. Ebenfalls gegen Juncker als Kommissionspräsident sind die Niederlande, Schweden und der neue italienische Präsident Mateo Renzi. Was diese so unterschiedlichen Länder gegen Juncker eint, ist schwer auszumachen.
Leider ist auch die Haltung der deutschen Bundeskanzlerin alles andere als klar. Ohnehin war ihr Juncker von Anfang an suspekt. Aber es galt ja Martin Schulz zu verhindern. Jetzt ist Frau Merkel in der Zwickmühle. Schulz zeigt sich als fairer Verlierer und unterstützt Juncker. Sicher nicht ohne den Hintergedanken, davon selber zu profitieren.
Der Wähler spielt bei all diesen Überlegungen überhaupt keine Rolle. Wenn man CDU/CSU gewählt hat, konnte man davon ausgehen, dass Juncker Kommissionspräsident wird, wenn er die Mehrheit der konservativen Stimmen bekommt. Hat man SPD gewählt, konnte man hoffen, dass es Schulz wird. Ich habe weder die einen, noch die anderen gewählt, bin aber trotzdem davon ausgegangen, dass es einer der beiden wird.
Die Diskussion über die Frage, wer denn nun die Entscheidung trifft, der Wähler oder doch die 28 Regierungschefs, schadet dem Ansehen der EU – und das ist ohnehin nicht besonders hoch. Diese Machtspielchen sind ein Schlag gegen die Demokratie!
Es mag Argumente gegen Jean Claude Juncker geben, aber die waren bereits vor der Wahl bekannt. Man stelle sich vor, nach der Bundestagswahl wäre statt Merkel plötzlich Seehofer Bundeskanzler geworden. Vielleicht mit der Begründung, dass Bayern sonst aus der Bundesrepublik austritt.
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