Antieuropäische, nationalistische Parteien finden im Vorfeld der Europawahlen in vielen Ländern immer mehr Zustimmung. DIE LINKE verlor bei den Bundestagswahlen 340.000 Stimmen an die Anti-Euro(pa)-Partei AfD, die nur knapp den Einzug in den Bundestag verpasste.
In einigen Ländern der EU sind nationalistische und verdeckt rassistisch-antisemitische Parteien (mit) an der Regierung, wie etwa in Ungarn und Finnland. In Lettland werden Angehörige von SS-Divisionen als »Freiheitskämpfer« geehrt.[1]) Auch in Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden haben rechtspopulistische Parteien Zulauf.
Und wie werden wohl die Wähler in den von »Reformen« betroffenen Ländern wie Griechenland oder Spanien abstimmen?
Die Europäische Union hat nur noch wenig Ansehen bei den Menschen draußen im Land. Die Einen – die sog. Nordländer – fürchten um ihren Wohlstand und die Anderen – die sog. Südländer – spüren schon die von Deutschland ausgehende Knute im Rücken. Und in der Tat ist es ein ungeheuerer, aber kaum angesprochener Skandal, wenn z. B. in Griechenland Menschen sterben, weil das Geld für Medikamente oder Operationen fehlt.
Die neoliberale, kapitalistische Politik in Brüssel und Straßburg verursacht eine sich immer mehr ausbreitende Wut auf die »Bürokraten« der Union. Dabei wird die Politik der Union ganz offen und für jedermann sichtbar von den Lobbyisten der Wirtschaft bestimmt. Die »Konkurrenzfähigkeit« der Union und möglichst niedrige Arbeitskosten stehen im Mittelpunkt. Ganz nach dem Vorbild der Agenda 2010 soll Europa am »deutschen Wesen genesen«. Die Zeche zahlen, wie immer im Kapitalismus, mal wieder die sprichwörtlich kleinen Leute. Der Mittelstand schrumpft, die Absturzgefahren steigen und die Angst greift um sich.
Zu erwarten bzw. zu befürchten ist, dass die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen sehr gering ausfallen wird. Aber solange sich die Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament nicht weg von den großen Blöcken bewegen, interessiert die Wahlbeteiligung nur am Rande. Auch ein von Herrn Scholz geführtes Parlament wird nicht die Richtung ändern, dazu ist der Einfluss der Wirtschaftslobby schon zu groß. Ein Musterbeispiel, wie man das Vertrauen der Bevölkerung verliert, sind die Geheimverhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP[2]). Kommen demnächst gechlorte Hähnchen, hormonbehandelte Rinder und Schweine sowie genmanipulierter Futtermais auf den europäischen Markt? Wird Wasser bald ein »normales« Handelsgut in den Händen transnationaler Konzerne? Noch ein Musterbeispiel: Griechenland hat für Milliarden Euro Rüstungsgüter aus Deutschland gekauft. Ganz offensichtlich war Korruption im Spiel. Deutsche Firmen haben griechische Entscheidungsträger mit Millionen Euro bestochen, um an die Aufträge zu kommen. Und wer zahlt die Zeche?
Die Menschen in Europa sehen kaum noch Vorteile in der Union. Der Preis für die – zweifellos praktische – einheitliche Währung ist vielen zu hoch. Die Reisefreiheit ist älter als die Union und ohnehin nicht bedroht. Aber das Wohlstandsgefälle ist sichtbarer denn je.
Die Ursachen der Probleme sind zu komplex, als dass man sie mit einfachen Mitteln lösen könnte. Das überfordert die Mehrheit der Menschen und Aufklärung findet nicht statt. Natürlich sind Korruption (»Fakelaki«), Steuerbetrug und ein fehlendes Kataster ein Problem für Griechenland. Aber Bestechung und Steuerbetrug gibt es auch in Deutschland, auch wenn die öffentliche Verwaltung hierzulande relativ gut funktioniert.
Dass die europäische Einigung einen Schlussstrich unter die jahrhundertelangen kriegerischen Auseinandersetzungen der Völker in Europa gesetzt hat, ist für die Menschen heute zur Selbstverständlichkeit geworden. In Anbetracht des 100-jährigen »Jubiläums« des 1. Weltkrieges sollte man neu darüber nachdenken.
Die Chance, ein Europa der gleichen Lebensbedingungen zu schaffen, ist gegeben. Aber dafür bedarf es der Solidarität der Völker. Solange der wirtschaftliche Erfolg einzelner Länder wie Deutschland auf der Armut von Teilen der Bevölkerung beruht, kann man Solidarität nicht erwarten. Kapitalismus schafft keine Einigkeit. Im Gegenteil, er beruht auf der Konkurrenz der Armen unter sich.
Die Überwindung der Wachstumsideologie und die Lokalisierung der Versorgung mit dem Lebensnotwendigen (Lebensmittel, Wasser, Energie, Gesundheit) wären ein Weg aus der Misere.
Dass wir Europäer die Probleme nur gemeinsam lösen können, das sollten die politisch Verantwortlichen endlich in den Mittelpunkt ihrer Wahlkämpfe stellen.
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