Ernährungskultur heute: Unsere Wahrnehmungen beim Essen (7)

Mit wirklich allen Sinnen genießen…?!

Folgen wir weiter dem Kreislauf unserer Ernährung, so kommt nach dem Kochen der vielleicht schönste Teil überhaupt: das Essen selbst.

Das Essen ist eine sehr freudige Angelegenheit. Wenn jemand mit gutem Appetit isst, freut uns das in der Regel. Wird Essen hingegen abgelehnt, wirkt es immer etwas ungemütlich.

Jedenfalls ist das Essen die einzige Station des Ernährungskreislaufs, die wir immer unter (fast) allen Bedingungen selbst bestimmen und gestalten können. Sind wir auf Reisen oder zum Essen eingeladen, haben wir oft keinen Einfluss auf Auswahl und Zubereitung der Speisen. Aber Essen müssen wir immer selbst.

Als meine Großmutter ein Kind war, durfte während des Essens nicht gesprochen werden, denn man sollte dankbar für das Essen sein. Heute wirkt die verordnete Dankbarkeit »auf Knopfdruck« sicher etwas befremdend oder missionarisch. Zudem ist das gemeinsame Essen heute auch ein gemeinschaftliches Ereignis, bei dem Familien oder Freunde zusammenkommen, um gemeinsam Zeit zu verbringen und sich auszutauschen. Dennoch ist es heute sicher auch wünschenswert, das Essen angemessen zu würdigen. Dazu möchte ich Sie zu einem kleinen »Forschungs-Experiment« am Esstisch einladen, das Sie auch gemeinsam mit Familie oder Freunden durchführen können.

„Wie schmeckt eigentlich ein Apfel?“… „Süß! Und etwas säuerlich…“ werden Sie wahrscheinlich antworten. Aber trifft diese Geschmacksbeschreibung nicht auf viele Obstsorten zu? Kirschen, Pfirsiche, Aprikosen, Mangos usw. schmecken auch süß und etwas säuerlich.

Wie lässt sich der Apfel-Geschmack also treffender beschreiben? Zunächst einmal müssen wir interessanterweise feststellen, dass es in unserer Sprache keine genaueren Wörter für den Geschmack von Lebensmitteln gibt. Süß, sauer, salzig, herb und bitter können nur als grobe und ungenaue Geschmacks-Richtung gelten, bringen aber noch nicht den »Apfel-eigenen Geschmack« zum Ausdruck.

Um diesem etwas näher zu kommen, holen wir unsere anderen Sinnesorgane zu Hilfe. Beim Essen ist nämlich nicht nur der Geschmackssinn beteiligt. Als Erstes riechen wir in der Regel den Duft des Essens, der durch die ganze Wohnung schwebt. Dann sehen wir das Essen im Kochtopf bzw. auf unserem Teller. Als Nächstes führen wir einen Bissen zum Mund und tasten die Temperatur und Konsistenz. Gleichzeitig schmecken wir auch das Essen und hören die Geräusche beim Kauen und Schlucken (Stellen Sie sich nur vor, Ihre Chips würden beim Kauen nicht knacken…).

florian_reistleNun sucht sich jeder Experimentteilnehmer am Esstisch eine der fünf Sinneswahrnehmungen aus. Sie werden – für ein paar Bissen lang – nun zu »Experten« dafür, wie das Essen riecht, oder aussieht, oder sich tastet, oder schmeckt, oder sich anhört. Jeder verkostet nun das Essen mit »seinem« ausgewählten Sinn und versucht, möglichst viele beschreibende Eigenschaftswörter für seine Wahrnehmungen zu finden. Sie können diese auch notieren, dann wird es übersichtlicher. Dann darf jeder »Experte« seine Erfahrungen den anderen »Experten« mitteilen. Sehen Sie selbst, wie viele verschiedene wahrnehmbare Qualitäten selbst in der einfachsten Mahlzeit stecken. Ganz besonders Kindern macht das »Forscher-spielen« große Freude.

Florian Reistle
Koch, Diätassistent und Heilpraktiker, Weilheim

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