Interview von Carola Dempfle (CD) mit Daniel Delicieux (DD): Bauer, Lehrer und Forstwächter in Mare Rouge
CD: Daniel, was kannst Du über Dich und Dein Leben erzählen?
DD: Also, ich heiße Daniel Delicieux. Mein Vater ist Dameus Delicieux. Ich bin 38 Jahre alt, verheiratet und habe 11 Kinder. 6 Jungen und 5 Mädchen. Geboren bin ich in Mare Rouge, zur Schule gegangen bin ich in Croix de Bouquet (Agglomeration von Porte-au Prince).
CD: Wie war Deine Kindheit hier, bevor Du weggegangen bist?
DD: Oh, sehr gut, sehr normal. Ich habe immer gut gegessen und war ein starkes Kind. Meine Mutter ist immer um 3 Uhr aufgestanden, um mir ein gutes Frühstck zu kochen. Für mich gab es immer Fleisch und Viv (Kartoffeln, Kochbananen, Ignam u. a. Wurzelgemüse), nicht nur Suppe.
CD: Was hattest Du für Kleidung?
DD: Ich hatte immer einen sehr schönen kleinen Anzug. Mein Vater hat vorher im Norden gewohnt. Von daher kannte er immer die neueste Mode. Er hat dort drei Söhne. Ich kenne sie nicht. Ich bin das einzige Kind meiner Mutter. Zu Weihnachten bekam ich immer ein kleines Spielzeug.
CD: Wann bist Du zurück nach Mare Rouge?
DD: Das war 1991, mit 18. Mein erstes Kind ist zur Welt gekommen, als ich noch in der Schule war. Danach war ich mit einem anderen Mädchen zusammen. Von ihm habe ich 3 Kinder. Sie hat inzwischen einen anderen Mann. Am 09.10.1991 habe ich geheiratet. Mit meiner Frau habe ich 7 Kinder.
CD: Womit ernährst Du Deine Familie?
DD: Ich bin Ackerbauer. Und betreibe auch Viehzucht. Und Lehrer. Und, das weißt du ja, bin ich bei der Forstwacht.
CD: Wenn Du die letzten 20 Jahre zurückblickst, was war für Dich die größte Veränderung?
DD: 1997, das ATPPF Projekt. Als ich zu den Forsttechnikern kam. Die 60$ waren mein erstes Gehalt. Nach 4 Jahren wurde das Projekt gestoppt. Wir haben die Überwachung des Walds mit einer Gruppe von 25 Leuten freiwillig weiterbetrieben. 7 Monate ohne Geld. Dann kam das Helvetasprojekt.
CD: Wie ist Dein Haus?
DD: Es hat ein Blechdach. Ich habe es selbst gebaut. Vier Zimmer. Wir sind 17 Personen dort. Die Kinder, meine Frau und ich machen 13, plus 4 Partisanen.
CD: Partisanen?
DD: Ihre Familienangehörigen wurden umgebracht.
CD: Sind das auch Kinder?
DD: Nein, Erwachsene. Zwei Männer, zwei Frauen.
CD: Was hat das Haus gekostet?
DD: Weiß nicht genau, aber ungefähr kann ich es nachrechnen. Ich habe 6 Kühe verkauft für das Material. Eine für 375$, zwei für 250$, und noch welche für 190 und 125$.
CD: Also rund 1300$, wenn ich richtig rechne. Was verdienst Du als Lehrer in der kleinen Schule?
DD: Gut 60$ im Monat. Und 40$ bei der Forstwacht. Und das Essen da.
CD: Wie viele Schüler hat die Schule?
DD: Etwa 400, in 5 Klassen. Drei Niveaus. Das Niveau A, zum Lesen lernen, ein Mittleres und das Höchste, für das staatliche Zertifikat. Im Niveau A sind verschieden alte Kinder. Manche kommen erst mit 10 Jahren das erste Mal, manche mit 6 Jahren.
CD: Wie hoch ist das Schulgeld?
DD: 2$ pro Monat.
CD: Das heißt, fast die Hälfte von Deinem Verdienst bezahlst Du für die Schule Deiner Kinder. Wolltest Du viele Kinder?
DD: Es gab keine Mittel zur Familienplanung. Inzwischen haben wir etwas.
CD: Wie ist die Gesellschaft hier auf dem Land organisiert?
DD: Es gibt verschiedene Gruppen. An der Spitze sind immer Leute mit besonderen Kenntnissen. Wichtig ist, sich regelmäßig zu treffen, um die Ideen auszutauschen. Ich habe 2009 OPM, die Gruppe der Pflanzer in Mare Rouge, gegründet. Heute hat sie 400 Mitglieder.
CD: Und die Nachbarschaft?
DD: Leute aus den Häusern, die nah beieinander sind, kochen manchmal gemeinsam.
CD: Mit welchem Alter kann man heiraten?
DD: Mit 15, 16, oder bis zu 25 Jahren.
CD: Die Eltern, beeinflussen sie die Wahl?
DD: Ja. Wenn ein Junge eine Mädchen will, muss er beweisen, dass er ein Haus bauen und eine Familie ernähren kann. Wenn er ärmer ist als die Ursprungsfamilie, sagen die Eltern nein.
CD: Vielen Dank für das Gespräch.
[notice]ZUM PROJEKTSTANDORT: Mare Rouge liegt in der westlichen Hälfte des „Forêt des Pins“. Die nächste nennenswerte Ortschaft ist in 4 Stunden mit dem Allradauto erreichbar. Haupttransportmittel sind die Köpfe der Leute, Pferd und Esel. Daniel ist einer der Leader hier. Er kann flüssig lesen und schreiben und spricht radebrechend französisch. Was ihn zum Leader qualifiziert ist seine Fähigkeit, Lösungen oder Strategien von einem auf einen anderen Fall zu übertragen. Die hier übliche Lernmethode besteht aus Kopieren, Abschreiben und endlosem Wiederholen. Besonders in der Schule. Öfters werde ich gefragt, was man tun msste, um Haiti voranzubringen. Meine Antwort lautet immer: Bildung zuerst.[/notice]
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