Ein Gespenst geht um: »Homo Digitalis«

Digitaler MenschNicht nur ein YouTube-Video, das unter dem Motto »Schaut, was uns bald blüht« die Runde macht, sondern auch etliche Radio- und Fernsehsendungen widmen sich dem Hype-Thema »künstliche Intelligenz«, das sich in der Welt der technischen Forschung einer geradezu explodierenden Aufmerksamkeit erfreut. Die künstliche Intelligenz ist dabei, zum Bestseller der »Träger verschwörungstheoretischer Belange« zu avancieren.

Just in der Zeit, als eine auf das »Homo Digitalis«-Video hinweisende Rundmail die Gemüter aufschrecken und auch mich hinter dem Ofen hervorlocken sollte, las ich in der dem Niveau der »Süddeutschen« entsprechenden namhaften Genfer Tageszeitung »Le Temps« (vom 22.10.2017) einen sehr erfreulichen Blog-Beitrag der Neurowissenschaftlerin Ann Kato, Honorarprofessorin an der medizinischen Fakultät der Universität in Genf. Ihren sehr nüchternen und trotz aller fachkundigen Ausführlichkeit für den Laien anschaulich verfassten Beitrag schloss die Autorin, in einer unwiderstehlichen Klarheit, mit den von mir ins Deutsche übersetzten Sätzen, die ich den OHA-Lesenden nur wärmstens zum Bedenken empfehlen möchte, da sie genau das bestätigen, wovon ich schon länger absolut überzeugt bin:

„Die künstliche Intelligenz kann in vielen Bereichen die unterschiedlichsten Aufgaben immer besser und zuverlässiger erledigen, als es der Mensch tut. Und im Gegensatz zu allen pessimistischen Prognosen wird sie sogar dazu beitragen, neue Tätigkeitsfelder für die Menschen zu erschließen, statt wie viele befürchten, nur Arbeitsplätze zu vernichten.

Aber, die Antwort auf die große Frage: Wird die künstliche Intelligenz das menschliche Gehirn eines Tages ersetzen können?, muss lauten, nein! Unmöglich!

Das menschliche Gehirn ist der leistungsfähigste Superrechner schlechthin. Dafür verbraucht er gerade die Energiemenge einer Glühbirne. Dagegen brauchen die für den Betrieb der künstlichen Intelligenz eingesetzten Supercomputer Unmengen an Energie, also CO2. Das Gehirn verfügt über mehr als 100 Trillionen Neuronen und leitende elektrische Zellen, die unser Gehirn mit einer unübertroffenen phänomenalen Rechenleistung ausstatten. Und es muss daran erinnert werden, dass wir nicht einmal wirklich wissen, wie das Gehirn funktioniert. Deshalb wird es noch Jahrzehnte intensiver Forschung bedürfen, bis wir eine nur vage Idee über die Funktionsweise unseres Gehirns erreichen, und bis wir in die Lage kommen, das Gehirn nachzuahmen, wenn überhaupt. Daher können wir ganz ruhig in die Zukunft schauen: Die künstliche Intelligenz wird in absehbarer Zukunft nicht in der Lage sein, die menschliche Intelligenz zu ersetzen, geschweige denn sie zu übertreffen.“

Darum mache ich mir überhaupt keine Sorgen bezüglich der Machtübernahme der »künstlichen Intelligenz« bzw. bezüglich der Digitalisierung des Menschen. Künstliche Intelligenz ist, wie jede Intelligenz, nicht die ganze Intelligenz und erst recht nicht die »Intelligenz des Lebens«. Ich weiß, dass sowieso jede künstliche Intelligenz nur funktioniert, wenn sie eingeschaltet ist, d. h. wenn die menschliche, emotionale, soziale, rationale Intelligenz des Menschen, ihr lediglich die Rolle gibt, die im Leben sinnvoll sein kann, nämlich die eines Werkzeugs und nicht die einer autonomen, selbsttätigen und selbstgesteuerten Macht, die sie ja, wie die Neurowissenschaftlerin klar genug macht – falls wir es noch nicht wirklich gewusst hätten – eben nicht sein kann. So what?

Nicht, oder nur begrenzt und selbstbestimmt digital vernetzt zu sein, und immer die Kontrolle über ausschaltbare Steckerleisten oder Geräteeinschaltknöpfe (sogar WLAN) zu behalten, ist bei mir selbstverständlich. Und vor allem, Immunität gegenüber jeglicher Verschwörungstheorie pflegen, ist eins meiner Zehn Gebote des freien, unabhängigen, nur dem Leben verpflichteten Menschen.

Das empfehle ich zur Nachahmung, statt den neuen Unkenrufen der »Cassandra Digitalis« auf den Leim zu gehen!
Und inwiefern wir welchem Werkzeug eine klar begrenzte und definierte Funktion in unseren gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Hilfsstrukturen zuweisen, hängt von der politischen Willensbildung, also auch unserer Bereitschaft ab, persönlich und uneingeschränkt für die Demokratie einzustehen und an der besagten Willensbildung teilzunehmen.

Maurice de Coulon, Schwabsoien

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