„Ich habe Freunde aus aller Welt, lerne zwei neue Sprachen und die Blicke, die sie einem hier zuwerfen, bloß weil man weiß ist, machen mir auch nichts mehr aus.“
Als ich hier nach Honduras gekommen bin und meinen ersten Tag in der neuen Schule verbrachte, wollte ich am liebsten zurück. Zurück in meine alte Schule, zu meinen alten Freunden und in meinen gewohnten Alltag. Es war alles so schrecklich neu. Die neue Sprache, die neue Schule, die neuen Klassenkameraden. Niemand hat mich wirklich beachtet, weil ja niemand mit mir sprechen konnte oder vielleicht auch nicht wollte. Ich habe zum ersten Mal erlebt, wie es einem geht, der nicht wahrgenommen wird.
Aber da wir hier nur 10 Schüler in der Klasse sind, ist man natürlich pausenlos mit einbezogen. Mathe, Geschichte und Physik auf Englisch. In Deutschland hatte ich 3-mal pro Woche 45 Minuten Englischunterricht und wurde auch nur selten drangenommen.
Wenn ich jetzt zurückdenke, an diesen Tag ohne Freunde und unverstanden, realisiere ich erst, wie gut es mir jetzt geht. Ich bin mit jedem der 10 Schüler befreundet, mache viel mit meinen »neuen« Freunden außerhalb der Schule, und sogar die Sprachen des Unterrichts, Englisch und Spanisch, sind meinen Ohren vertraut geworden.
Natürlich denke ich an Deutschland. An meine Familie und meine Freunde. Es tut gut zu wissen, dass Leute da sind, die auf einen warten und sich freuen, einen wiederzusehen. Mit meinen Freunden und meiner Familie in Deutschland habe ich noch viel Kontakt und ich kann ihnen von hier erzählen und sie können mir Fragen stellen.
Ich kann echt von Glück sagen, dass ich so eine Erfahrung machen darf. Es gibt so viele Menschen, die ein Abenteuer wie ich nie erleben werden. Ich habe Freunde aus aller Welt, lerne 2 neue Sprachen und die Blicke, die sie einem hier zuwerfen, bloß weil man weiß ist, machen mir auch nichts mehr aus. Ich sage mir immer, nur weil man weiß ist, ist man nichts Besonderes. Man ist genauso viel wert wie die Schwarzen, wie die Latinos, wie die Weißen und all die anderen. Klar denken sich jetzt viele, dass es doch toll wäre, einmal nur wegen der Hautfarbe etwas Besonderes zu sein. Aber mit der Zeit ist es einfach anstrengend und nervig.
Wenn man durch die Straßen Tegucigalpas wandert, sieht man verschiedene Menschen verschiedenster Klassen. Der Schulbus bringt mich jeden Tag an Villen vorbei, bei denen man denkt, dass die Besitzer zu viel Geld haben. Aber er zeigt mir auch die Slums, die viele nur aus Filmen und Reportagen kennen. Ich sehe den Kampf um das Überleben dieser Menschen jeden Tag. Ich fühle mit ihnen. Ich kenne die Menschen, die in riesigen Palästen wohnen, zugemauert und abgetrennt von dem Rest der Welt. Es scheint mir, als ob die Armen mehr Spaß und Freude im Leben haben, denn wenn ich meine Bekannten hier betrachte, gibt es jeden Tag etwas zu meckern.
Die grünen Felder und Wälder sind seit der Regenzeit auch verschwunden. Sie haben sich zu grauer Graslandschaft verändert. Ich genieße es, in dem warmen Klima täglich in Shorts und Top rumlaufen zu können. Es ist fast so, als gehöre ich hier schon dazu. Man lebt sich mit der Zeit ein. Wenn ich nach Peiting zurückkomme, werde ich verändert sein.
Jetzt ist schon die Hälfte meiner Zeit hier in Mittelamerika um, das zweite Semester in der Schule hat bereits begonnen.
Und doch freue ich mich jeden Tag darauf, in den Bus zur Schule zu steigen, den Unterricht mitzumachen, am Abend wieder daheim anzukommen und die vielen Fragen in den E-Mails von meinen Freunden und meiner Familie aus Deutschland zu beantworten, mit meinem eigenen Wissen, aus meinen eigenen Erfahrungen.
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