Oder: Was hat Halloween mit dem Untergang des christlichen Abendlands zu tun?
Als ich im Herbst mal wieder die ausgehöhlten Kürbisse vor den Haustüren sah und die Gespenster-Kostüme in den Spielwarenläden, wurde mir bewusst, welche Bedeutung Halloween inzwischen bei uns hat – ein Fest, von dem ich in meiner Kindheit nie etwas gehört hatte. Damals eröffnete St. Martin die Vorweihnachtszeit, wir zogen mit selbst gebastelten Laternen und den altbekannten Liedern hinter dem heiligen Martin her, der, hoch zu Ross, vor dem Kriegerdenkmal seinen Mantel teilte und dem frierenden Bettler gab – eine symbolträchtige Geste in einer Zeit, in der Millionen von Vertriebenen und Flüchtlingen ins Land kamen.
Nun also wird Halloween gefeiert, was sich die Bundesbürger in diesem Jahr immerhin 200 Millionen Euro kosten ließen.
Religionsethnologen beschreiben Halloween als „ein altes heidnisches Totenfest mit einer dünnen christlichen Hülle“; neben dem Frühjahrsfest Beltane am 1. Mai (Walpurgisnacht) habe es sich um das zweite wichtige Fest der Kelten gehandelt. Nachgewiesen wird es seit dem 8. Jahrhundert, als christliche Synoden versuchten, solche heidnischen Riten abzuschaffen. Populär wurde das Fest dann bei den katholischen Iren, die es als Migranten in die USA brachten und von dort kam es nun nach Europa zurück.
Was lehrt uns dieses Beispiel (es gäbe zahlreiche andere)? Erstens: Wie schnell sich unsere Gesellschaft durch fremde Einflüsse verändert – auch ohne muslimische Migranten, die angeblich unser christliches Abendland zerstören. Zweitens: So »christlich« ist dieses Abendland gar nicht, es ist durchsetzt von zahlreichen weltlichen und »heidnischen« Elementen, die Vielen von uns lieb und teuer geworden, aber eben auch dem ständigen (und immer schnelleren) Wandel unterworfen sind. Was also wäre daran so schlimm, wenn wir in Zukunft den einen oder anderen Brauch fremder Kulturen in unseren Alltag integrieren würden?
Und drittens: Das Beispiel zeigt uns die ganze Absurdität der Argumentation von Neo-Nazis in den sozialen Netzwerken, die einerseits das christliche Abendland (St. Martin) verteidigen wollen, andererseits aber gegen »fremde Einflüsse« (Halloween) hetzen – obwohl diese doch germanisch-keltischen Ursprungs sind, was den mit Runen tätowierten Glatzen doch eigentlich ins Konzept passen müsste! Solche Ungereimtheiten bringe einer noch auf die Reihe!
Ja, die Integration zahlreicher Flüchtlinge wird diese Gesellschaft verändern und das ist gut so! Hätten sich die germanischen Stämme vor 2000 Jahren gegen alles Fremde mit Speeren, Mauern und Zäunen gewehrt, hockten wir jetzt noch auf dem Bärenfell in einer dunklen Höhle. Kein Wein, kein lateinisches Alphabet, keine arabischen Zahlen, keine Pizza, keine Zentralheizung – und, übrigens, kein Christentum! Aber wahrscheinlich wären wir heute eine vom Aussterben bedrohte Spezies wie einige isolierte Indianerstämme im Amazonasgebiet oder bestenfalls ausgebeutete Sklaven von Völkern, die bereit waren, Veränderungen positiv zu gestalten. So gesehen, bezweifle ich, dass etwa Victor Orban seine Ungarn erfolgreich den Weg ins 21. Jahrhundert weist, denn seine wenig selbstbewusste Devise scheint zu lauten: »Wir sind Zwerge und wir wollen es bleiben!«
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