Die Rating-Agenturen – ein zutiefst korruptes System

Klagen wegen Schrottpapieren

Die Agenturen sind »ein zutiefst korruptes System«. Diese Charakterisierung kommt von Paul Krugman, sie ist jedoch unvollständig: Wie korrupt ist ein Gesamtsystem, das einem zutiefst korrupten Teilsystem eine so zentrale regulatorische Bedeutung zumisst?

Das Modell, dessen »Leistungen« seit Jahrzehnten nachprüfbar sind, zeigt, dass es ein grundsätzlicher Fehler ist, privatkapitalistische Akteure mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zu betrauen. Aus diesen Erfahrungen die richtigen Konsequenzen zu ziehen, ist um so wichtiger, als im Unterschied zur anfänglichen Aufgabenstellung inzwischen auch öffentliche Unternehmen und Staaten dem Rating nach US-Muster unterliegen. Wurden 1975 nur fünf Staaten durch die Agenturen bewertet, so waren es 1990 bereits 68, 2000 bereits 191, und seit 2002 sind es alle 202 Staaten. Welchen Einfluss damit die Agenturen – in Verbindung mit den verfilzten Banken, Spekulanten, der Europäischen Union und der Weltbank – haben, zeigt sich nun im Falle Griechenlands.

Nach der Finanzkrise haben auch westliche Regierungen eine stärkere Regulierung und eine Reform der Ratingagenturen gefordert. Die US-Börsenaufsicht SEC (Security Exchange Commission) schlug vor, dass die Agenturen ihre Beratungstätigkeit »reduzieren« sollten; der Wechsel von Mitarbeitern einer Agentur in eine Bank sollte erschwert werden. Davon ist so gut wie nichts übrig geblieben. Die Agenturen haben bei den Hearings im US-Kongress pflichtgemäß ein paar »Fehler« eingestanden und Besserung gelobt – wie schon oft.

Die Meinungsmacher des Finanzsystems üben sich in pragmatischer Resignation: »In Zeiten der Unsicherheiten steigt die Nachfrage nach Ratings – so fragwürdig diese auch sind«, schreibt die Neue Züricher Zeitung. So argumentiert auch Andrew Bosomworth, Topmanager bei Pimco, einem der größten Anleihekäufer der Welt: »Die Ratings bedeuten immer weniger. Da man aber bei vielen Entscheidungen und Regulierungsvorschriften keine andere Wahl hat, greift man dennoch immer wieder auf die Rating-Agenturen zurück.« Mit diesem Zynismus kann die Branche sehr gut leben.

Etwas mehr beunruhigt sind die Agenturen durch Klagen auf Schadenersatz, die von Geschädigten vor Gerichten in mehreren Staaten eingereicht werden. Dadurch können die Praktiken der Agenturen stückweise offengelegt werden. Ein erfolgreiches Urteil kann Milliardenforderungen nach sich ziehen. So gewinnt etwa die Klage eines Rentners gegen die deutsche Filiale von Standard & Poor’s eine grundsätzliche Bedeutung; der Rentner hatte für 30 000 Euro Lehman-Zertifikate gekauft, für die sich die Bank das Gütesiegel A von S&P gekauft hatte – es galt noch drei Tage vor der Lehman-Bankrotterklärung. Nach Ansicht des Klägers haften die Agenturen – im Unterschied zur Rechtsauffassung in den USA – gegenüber den Anlegern für ihre Bewertungen, wenn diese im Verkaufsprospekt als Werbung aufgeführt werden. Es klagen nicht nur individuelle Geschädigte, sondern auch institutionelle Investoren und Pensionsfonds, etwa wegen der Schrottpapiere der IKB, die von S&P und Moody’s eingestuft wurden.

Nicht reformierbar

In der Europäischen Union werden zögerliche Überlegungen für eine eigene europäische Agentur angestellt – dagegen dürfte die Bankenlobby in Brüssel wohl schon aktiv geworden sein. Selbstbewusster ist die neue Wirtschaftsmacht China. Die chinesische Zentralbank gründete 1994 die Dagong Global Credit Rating Company als private Agentur für innerchinesische Aufgaben. Sie ist zu 100 Prozent in chinesischer Hand, im Unterschied zu den anderen Agenturen in Asien, die ganz oder teilweise westlichen Agenturen gehören. Nach der Finanzkrise hat Dagong den Tätigkeitsbereich auf ausländische Staaten und Kredite ausgeweitet. Im Unterschied zu S&P, Moody’s und Fitch, die die USA ungerührt mit AAA bewerten, gab Dagong nur ein AA.

Ein zutiefst korruptes System kann man nicht regulieren oder reformieren. Die Agenturen müssen ihrer öffentlichen Funktionen enthoben werden. Vor allem müssen die Kriterien für gutes Wirtschaften und gute Staatshaushalte anders gestaltet werden. Die Kriterien dürfen sich nicht am Partialinteresse der spekulierenden Finanzakteure orientieren, sondern am Interesse der Beschäftigten und Empfänger staatlicher Transferleistungen, der privaten und öffentlichen Unternehmen, der Konsumenten und Staaten.

Quelle: Nachdenkseiten

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