Die »Flüchtlingskrise« öffnet uns die Augen

Der Zustrom von mehr als einer Million Flüchtlingen hat plötzlich – wie in einem Brennglas – schon lange bestehende, aber mehr oder weniger gleichgültig hingenommene Defizite und Missstände in unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt: Im Sozialbereich etwa, wo im Zusammenhang mit der »Flüchtlingskrise« der vernachlässigte soziale Wohnungsbau, die Mängel im Bildungswesen oder in der flächendeckende Gesundheitsversorgung zum Thema geworden sind.

Nach den Vorfällen an Silvester in Köln und anderen Städten werden nun keineswegs nur die dort begangenen – ekelhaften und durch nichts zu entschuldigenden – Straftaten diskutiert, sondern es sind in Politik und Gesellschaft heiße Debatten in Gang gekommen über Fragen der Inneren Sicherheit, der Strafverfolgung und des Strafvollzugs, der Stellung der Frau oder der Integration marginalisierter Bevölkerungsgruppen.

Jetzt erst wird so manchem klar, dass es auch vor Köln und nicht nur im Ruhrgebiet »no go areas« gegeben hat, sondern auch z. B. »national befreite Zonen« (vor allem im Osten Deutschlands), in denen das Gewaltmonopol des Staates außer Kraft gesetzt wurde. Plötzlich wird diskutiert, dass Frauen auf dem Oktoberfest auf dem Weg zur Toilette ein ähnliches Spießrutenlaufen durch eine Horde alkoholisierter Männer erdulden müssen, wie die Frauen in der Silvesternacht in Köln. Jetzt kommt zur Sprache, dass sich nicht nur Straftäter mit Migrationshintergrund durch Untertauchen der Verfolgung entziehen, sondern auch 374 rechtskräftig verurteilte Rechtsradikale ihre Strafe nicht absitzen müssen, weil sie nicht mehr auffindbar sind (Quelle: Sendung »Berlin Direkt« des ZDF vom 17. Januar 2016). Jetzt erst, nach den Übergriffen auf deutsche Frauen, wird vielen bewusst, dass sich »fremdländisch« aussehende Menschen seit Jahren keineswegs überall in Deutschland ohne Angst vor tätlichen Angriffen bewegen können. Zu Recht werden nun auch Forderungen nach besserer Integration zugewanderter Menschen erhoben und gleichzeitig wird uns klar, dass ja auch viele »Urdeutsche« keineswegs in unserer von Toleranz, Weltoffenheit, Rechtsstaatlichkeit usw. geprägten Gesellschaft integriert sind und nicht einmal den Artikel 1 unseres Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar“ …) zur Kenntnis genommen haben.

Die »Flüchtlingskrise« hat also zahlreiche politische Diskussionen angestoßen, es kommt darauf an, dass wir sie ehrlich, ernsthaft und vorurteilsfrei führen – dann wird unsere Gesellschaft von dieser Krise profitieren!

Wolfgang Fischer

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