Der Sommer 2015 … und 350 Flüchtlinge in Schongau

Foto Dr. Henry Immler

Dr. Henry Immler

„Schaffen wir das?“ – Diese einnehmende Frage stellen die SZ-Journalisten Roland Schulz und Rainer Stadler in der SZ-Beilage vom 5. August 2016[1], und sie erörtern diese illustre Frage am Beispiel der Stadt Schongau. Die Landrätin Jochner-Weiß, Schongaus Bürgermeister Falk Sluyterman und der Helfer Hans Atzenbeck kommen zu Wort. Auch Herr Wolfgang Sidamgrotzki wird zitiert, und sein Porträt ist neben den weiteren Genannten im Magazin präsent. Ich kenne ihn nicht, und auf dem Foto Seite 13 links oben wirkt er nicht unsympathisch. Sidamgrotzki ist Mitglied und Aktivist der AfD. Er stilisiert sein eigenes Bild, ganz im Sinne dieser Partei.

Auch ich male mir ein ideenreiches Bild: Sicher kennt er sehr wenige Fremde, und welche Bildung hat er? Eine humanistische schließe ich aus, denn schon der griechische Philosoph der Antike, Platon, sagt:

„Der Verkehr der Staaten untereinander aber hat naturgemäß eine Berührung und Mischung verschiedenartiger Lebensanschauungen zur Folge, die zu dem Streben nach Neuerung auf beiden Seiten führt.“[2]

Und so lese ich im SZ-Magazin: »Ein dunkelhäutiger Fahrradfahrer kommt entgegen. „Sehen Sie, schon wieder einer.“ Allein die Anwesenheit eines Menschen, der ihm fremd vorkommt, stört Sidamgrotzki.«[3]

Berührungsängste? Angst vor den Neuen und dem Neuen? Angst, vor verschiedenartiger Lebensanschauung?

Und weiter mit Platon: „[Es] würde … in den Augen der übrigen Welt als ein starker Mangel an Bildung des Verstandes und Herzens erscheinen, wenn wir uns der vielberufenen, verhassten Fremdenaustreibung schuldig machen und einer Sinnesart huldigen wollten, die den Eindruck der Anmaßung und Unverträglichkeit macht.“[4]

Sidamgrotzki: ein Name der nicht auf urdeutsche Wurzeln schließen lässt. Damit möchte ich keine abgeschmackte Rolle einnehmen oder jemandem eine solche zuweisen, denn ein Name spielt in diesem begrenzten Kontext keine Rolle. Ich denke an die vielen nicht deutsch-klingenden Namen, und das alleinig Interessante ist, ob es wohl Vorfahren gab, die aus der Fremde kamen, die sich integrieren durften und somit Neuerungen auf beiden Seiten erlaubten.

Was treibt jemanden dazu, Zynikern wie Frau von Storch und Alexander Gauland treue Gefolgschaft zu leisten? Was fasziniert jemanden wie Herrn Sidamgrotzki an Egomanen ohne Lösungsvorschläge wie Frauke Petry? Diese Fragen treiben mich um, und es geht nicht um Ab- oder Ausgrenzung.

Wer hat Angst vor dem Fremden? Als ich zum ersten Mal in einer abgelegenen Bergregion Tansanias unterrichten durfte, hatte ich kuriose Begegnungen mit schwarzen Kindern, deren Alter ich auf 5 bis 8 Jahre schätzte. Einige liefen schreiend davon, andere kamen neugierig, betasteten vorsichtig meine weiße Haut, rannten lachend weg. Es kamen mehr und mehr, bis mich letztlich die ganze Kinderschar neugierig musterte, und alle Kinder laut und fröhlich lachten. Wer hat Angst vorm weißen Mann? Wenn er aber kommt?

Angst vor Kölner Nächten? Angst vor Hackebeil-Attacken? Wer daraus den Platon feindlichen Schluss zieht, ein Zuzug müsse schon aufgrund dessen weitgehend verhindert werden, kann fassbar Gefahren nicht statistisch-korrekt zuordnen. Setzt sich Herr Sidamgrotzki in sein Auto, ist die Wahrscheinlichkeit in einen schweren Unfall verwickelt zu werden ungleich höher, als durch eine blindwütige Attacke von Fremdländischen versehrt zu werden. Sollte somit eine »Anti-Fahrzeug-Partei-Deutschland« gegründet werden, oder ist es nicht viel zugänglicher und fruchtbarer die Sicherheitsvorkehrungen zu erhöhen und die Verkehrskontrollen auszuweiten?

Herr Sidamgrotzki, ich kenne Sie nicht und meine figurativen Ausführungen zielen nicht gegen Sie. Ihr Name steht synonym für alle, die originäre Fremdenfeindlichkeit vermuten lassen. Doch: Allen meinen Leser, die diesen Artikel hämisch goutieren, sage ich: Mein ernsthaftes Anliegen konnte ich Ihnen nicht vorbildlich darlegen. Alle meine Leser, die nichts von der Weisheit Platons halten, empfehle ich, diesen zu lesen. Platons philosophische Werke haben den wundersamen Vorteil, dass sie sehr verständlich geschrieben sind.

Dr. Henry Immler

 

 

Quellenangaben / Hinweise


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  1. Süddeutsche Zeitung, Magazin Nummer 31, S. 8 ff
  2. aus: Platon, Sämtliche Dialoge, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1993, Seiten 490 – 491
  3. SZ-Magazin, ebenda, S. 20
  4. aus: Platon, ebenda

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