Nachdenkliches zum 1. Weltbienentag von einem Stadt- und Hobbyimker (Teil 2)
Konventionelle Landwirtschaft heute – System ohne Zukunft
Die Art und Weise wir wie unsere konventionelle Landwirtschaft betreiben, ist ein System ohne Zukunft. Sie zerstört die Lebensgrundlage von Bienen und vielen Insekten. Sie versteht komplexe Ökosysteme als Fabrik, nur ohne Dach. Input: Boden, Dünger (Kunstdünger, Gülle), Pflanzen»schutz« (Totalherbizide, Herbizide, Fungizide, Pestizide), Saatgut (meist hybrid), Kapital (teure Maschinen) und Arbeitskraft; Output: tierische und pflanzliche Produkte. Externalisiert werden Bodenerosion, Überdüngung, Tierwohl, Verseuchung des Trinkwassers, multiresistente Keime. Agrarwüsten aus wenigen Kulturen, wie Mais, Weizen, Raps dominieren die Landschaft; selbst in Gegenden mit viel Grünland und wenig Ackerbau sorgen bis zu 7 Grasschnitte im Jahr dafür, das viele Kräuter und Gräser niemals zum Ausblühen kommen und somit von der Wiese verschwinden. Schuld sind aber nicht die Bäuerinnen und Bauern, Schuld sind wir alle, die mehrheitlich billige Lebensmittel wollen, sich nicht dafür interessieren, wie etwas hergestellt oder verarbeitet wird.
Jetzt geht’s in die Details – 8 kurze Geschichten rund um Bienen (Lesezeit schon etwas länger;-)
1: Faszinosum Honigbiene und Bien
Es gibt weltweit Tausende, in Europa Hunderte von Bienenarten, alles Wildbienen. Die meisten sind Solitärbienen, seltener sind in Staaten oder Dauergemeinschaften lebende Insekten. Sie bevölkern seit der Kreidezeit unsere Erde in Ko-Evolution mit Blütenpflanzen; immer aneinander angepasst, zum Teil hochgradig spezialisiert. Ein Volk von Honigbienen nennt man Bien, es stellt eine Art Superorganismus dar. Erst in dieser Gesamtheit ist die einzelne Biene lebensfähig, im Unterschied zu den erwähnten Solitärbienen. Der Mensch kam erst später dazu, raubte den Honigbienen den Honig wie der Bär. Wir kamen sehr spät auf den Trichter, die Bienen so zu halten, wie man es heute überwiegend handhabt: in sog. Beuten, mit herausnehmbaren Rahmen, in denen sich die Waben befinden. So kann der begehrte Honig zwar nicht störungsfrei, aber doch zerstörungsfrei entnommen werden. Auch ideologisch missbrauchte der Mensch die Honigbiene: das Individuum ist nichts, das Kollektiv alles.
In der Landwirtschaft ist die Bestäubungsleistung der Bienen von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Die Honigbiene ist dabei nicht effizienter als Wildbienen oder andere Insekten, durch ihre Verwendung als Nutztier aber viel gezielter einsetzbar. In der Gemüseproduktion sind z. B. Hummeln für die Bestäubung von Tomatenpflanzen sehr wichtig. Also liefern uns die Holländer nicht nur Tomaten, sondern auch Hummeln als fliegende Holländer, ganz ohne Wagner.
2: Blitzgescheit auch ohne richtiges Gehirn
Eine Biene hat nicht einmal ein richtiges Gehirn, sondern nur Nervenknoten und ein sog. Oberschlundganglion. Dennoch kann sie mit Tausenden, ja Zehntausenden solcher Wesen in der Gesamtheit zu komplexen und koordinierten Entscheidungen finden. Das hat uns Menschen schon immer fasziniert. Und es gibt Arbeiterinnen und Sammlerinnen und Kundschafterinnen. Wer tut wann was; wie wird es organisiert? Den Schwänzeltanz kennen wir, Schall, Schwingungen und Pheromone spielen auch eine große Rolle. Den ersten Frust schoben Forscher, als sie feststellten, dass nicht ein Bienenkönig, wie lange Zeit vermutet, sondern tatsächlich ein weibliches Wesen, eine Königin, dem Bienenvolk vorsteht. Egal ob König oder Königin, Bienen sind absolut faszinierend. Die Evolution hat immer das behalten, was gut funktioniert, einfach und stabil ist. Resilienz, wie wir es heute u. a. nennen. Man kann sich ein Bienenvolk auch wie unser Gehirn vorstellen: die einzelne Biene ist die Nervenzelle, das Volk das Gehirn, mit Informationsweiterleitung, -verarbeitung, Spezialisierung, Ruhephasen, Entscheidungsfindung, Schwellenwerten.
3: Sex sells
Und dann die Sache mit dem Sex. Es heißt ja, Bienen helfen Pflanzen beim Sex, denn sie tragen den Pollen auf die Narbe des Fruchtknotens. Doch es wird noch schlimmer: eine unbegattete Bienenkönigin paart sich bei ihrem Hochzeitsflug bei Tageslicht mit ganz vielen Drohnen, bis zu einem Dutzend. Die Drohnen haben außer zur Fortpflanzung keine wirkliche Funktion; also nicht wie die von Menschen gemachten, die filmen, überwachen, Pakete liefern oder ferngesteuert Terroristen töten. Die echten Drohnen chillen, lassen sich durchfüttern und fliegen bei schönem Wetter zur Mittagszeit zu sog. Drohnensammelplätzen, um auf Königinnen zu warten. Kommt eine Drohne tatsächlich zum Zug, so bezahlt sie das mit ihrem Leben. Bei der Begattung wird das Geschlechtsteil mitsamt der Samenblase herausgerissen und die Drohne verendet. Das Drohnen-Jahr ist ohnehin kurz nach der Sommersonnenwende vorbei: kein Einlass mehr in den Stock, kein Futter, Tod. Die Königin hingegen kehrt in ihren Stock zurück und beginnt bald mit der Eiablage, der Spermienvorrat reicht für ihr Leben. Ein befruchtetes Ei wird eine Arbeiterin oder Königin, ein unbefruchtetes Ei eine Drohne. Biologieunterricht: haploider und diploider Chromosomensatz! Ob Arbeiterin oder Königin, das entscheiden allein das Futter und die Aufzucht.
4: Die Honigbiene im Kontext Nutztier – von Menschen und Bienen
Der Mensch hat die Honigbiene domestiziert und durch gezielte Zuchtselektion dazu gemacht, was sie heute ist: ein fleißiger Honigsammler, möglichst friedlich und wenig aggressiv, dazu nur gering schwarmfreudig. Alles nachvollziehbare Motive, nur wie so oft, weit über das Ziel hinausgeschossen.
Wie unsere überwiegend hybriden Spezialzüchtungen bei vielen anderen Nutzpflanzen und -tieren.
Die Tomate, die ertragsstark, lange lagerfähig, gut über weite Strecken transportierbar und mit perfektem Aussehen glänzt. Wir lernten, der Geschmack blieb dabei auf der Strecke. Oder wie der Eliteweizen, der hohe Erträge liefert, homogene Einzelpflanzen hervorbringt, und immer gleiche Inhaltsstoffe aufweist, die für eine gute Maschinengängigkeit in der Backfabrik wichtig sind. Wir wissen, das Ergebnis sind Unverträglichkeiten, Allergien und seltsame Heilsversprecher, die das Geschäftsfeld Weizen macht dumm für sich entdeckt haben. Ich, mein Essen und meine Neurose! Bei den Nutztieren bekam die Kuh immer mehr Milch, die Sau immer mehr Koteletts, das Huhn eine immer größere Brust. Bessere Futterverwerter, schnellerer Fleischansatz. Zum Wiesn-Hendl in nur 30 Tagen. Königinnen werden bei speziellen Zuchtlinien übrigens auch künstlich befruchtet, wie bei der Kuh, wo das Sperma tiefgekühlt und der Stier aus dem Katalog kommt. Und wie bei Ferkeln die Ringelschwänze kupiert werden, kann man bei Königinnen die Flügel stutzen, damit sie nicht schwärmen.
Im Unterschied zu vielen Pflanzenzüchtungen, die auch eine höhere Widerstandsfähigkeit und Resistenz gegen bestimmte Krankheiten zum Ziel haben, hat man das bei der Honigbiene komplett ausgeblendet. So kam z. B. die Varroa-Milbe, von nicht sehr gescheiten Forschern aus Asien eingeschleppt und entwickelte sich zum absoluten Desaster. Asiatische Honigbienen kommen mit der Milbe klar, weil sie lange mit dem Parasiten lebten und dabei Fertigkeiten entwickelt haben, ihn in Schach zu halten. Diese Jahrtausende der Ko-Evolution fehlen unseren heimischen Bienenarten. Dafür gibt es ersatzweise Produkte der Industrie. Noch ein Geschäftsfeld! Erst die Beizmittel und Spritzmittel verkaufen, die Bienen schwächen, schaden oder töten und dann die verbliebenen Bienen mit allerlei teuren Behandlungsmittel wieder „heilen“. Das nennt man dann Bayer Bee Care Center oder anders. In Afrika, wo sich die Imker Chemie & Co. nicht leisten können und die Wirtschaftsweise zum Teil komplett anders ist, ist erst einmal ein sehr großer Teil der Völker eingegangen. Es überlebten nur varroatolerante Bienenvölker und die Populationen erholen sich langsam wieder.
Denn die Varroa-Milbe ist nur ein Aspekt verschiedener Bienenkrankheiten. Die Verletzungen, sprich Bisswunden, der Milben schwächen die Honigbiene und dienen anderen Erregern als Eintrittsöffnungen. Überlässt man ein Volk Honigbienen sich selbst, so kann es nicht dauerhaft eigenständig überleben und bricht irgendwann zusammen. Überlebende, noch halbwegs agile Einzelbienen flüchten dann in andere Völker und haben die Milbe im Huckepack dabei.
Markus Hahnel, Leiter des SlowFood Conviviums München
(Teil 3 im August-OHA: u. a. »Stadtimker & traditionelle Vereinsimker als unbekannte Wesen« … »So gelingt der Einstieg ins Imkern als Hobby«)
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