Eine Feder am Wegesrand. Es wird wohl nur wenige geben, die sich als Kind nicht irgendwann für Vogelfedern interessiert hätten. Mir geht es als Erwachsener heute noch so. Finde ich eine Feder, bestaune ich das Werk, streiche sanft über die Federfahne. Filigrane Strukturen sehe ich hier:
Folge ich von der Federbasis dem Kiel Richtung Federspitze, dann gehen links und rechts die Federäste ab. Mit dem Mikroskop sehe ich, wie von den Federästen einerseits die Bogenstrahlen und anderseits die Hakenstrahlen abzweigen. Bogen- und Hakenstrahlen sind so miteinander verzahnt, dass sie die Federfahne stabilisieren. Bei Überlast bricht die Feder nicht, sondern öffnet reißverschlussartig zwischen Bogen- und Hakenstrahlen und wird beim Gefiederputz wieder geschlossen. Beim Wanderfalken hält eine Feder Belastungen von über 300 km/h aus. Auf den Federn sehen wir wie bei Wanderfalke oder Eichelhäher gebänderte Muster, bei der Kohlmeise Längsstreifen oder wie beim Buntspecht Punkte. Wo kommen diese vielgestaltigen Dinge denn her?
Die fertige Feder ist leblos, besteht aus vom Vogel abgeschiedener, verhornter Substanz und steckt mit dem Federkiel in der Haut des Vogels. Diese Hauteinbuchtung wird Federbalg genannt, an dessen Basis die Bildungszone liegt, aus der die Federsubstanz zu bestimmten Zeiten herauswächst. Dieses Wachstum schaut aber komplett anders aus, als wie wir es uns im Vergleich mit Pflanzen denken: Hier wächst kein Stamm empor, aus dem Äste und dann Zweige sprießen. Nein, bei der Feder gibt es Wachstumsphasen, man müsste korrekter von Bildephasen sprechen, bei denen sozusagen aus der Umgebung die Äste an den Federkiel heranwandern, um dann zusammenzuwachsen. Aber alles der Reihe nach.
Die Details des Federwachstums, was im Federbalg passiert, beschreiben Forscher etwas unterschiedlich. Die zentralen Aussagen bzgl. der substantiellen Formierung stimmen aber weitgehend überein.
Zu Beginn steht ein zylinderförmiges Wachstum. Dazu werden an der Bildungszone der Federbalgbasis ständig neue Zellen erzeugt und im Federbalg laufend nach außen geschoben. Das heißt, die Substanz an der Federspitze ist – anders wie bei der Pflanze – die älteste Federsubstanz. Die zylinderförmige Wachstumsform teilt sich schon kurz nach der Bildungszone in Säulen, aus denen später die Federäste gebildet werden. In einem weiteren Schritt erfolgt dann die Bildung des Federkiels im Bereich der Federfahne dadurch, dass die unteren Säulenenden nach und nach miteinander verschmelzen und von der Bildungszone weitere Säulen nachgeschoben werden. So entsteht der spiralförmig aufgebaute Federschaft, eben incl. den einzelnen Federästen aus den anderen Säulenenden.
Wem diese Beschreibung nicht anschaulich genug ist: Nach dem zylinderförmigen Wachstum am Anfang haben wir einen Prozess, der uns bei der Säulenentstehung und -bearbeitung stofflich-mechanisch an eine CNC-Fräsmaschine erinnert, um danach in der Zusammenführung der Säulen zu Federschaft und Federästen wiederum stofflich-mechanisch einen 3D-Drucker zu sehen. Als Beispiel nehmen wir den weißen Punkt einer Buntspechtfeder: Zunächst sind die Federäste nur bräunlich, dann kommt der erste kurze weiße Abschnitt auf einem Federast. Der weiße Abschnitt wird dann von Federast zu Federast immer etwas größer, um nach Erreichen des Durchmessers immer etwas kleiner zu werden. Dieser weiße Punkt ist auf der Einzelfeder wiederum nur zusammen mit dem ganzen Gefieder wirklich sinnvoll und streift trotzdem das Wunderwerk Gefieder in Funktion, Bau und Artverhalten nur an einer Stelle.
Wir dürfen uns dann fragen, was eine CNC-Fräsmaschine oder ein 3D-Drucker ohne Software machen würde bzw. was es denn bei der Vogelfeder für Softwaremöglichkeiten gäbe. Treu nach der Hegelschen Dialektik: Eine ordentliche These formulieren, eine sauber begründete Antithese dagegen stellen, um in einem korrekten wissenschaftlichen Prozess eine Synthese zu bilden, damit aus dieser dann eine neue These wird. So würde ich mir Wissenschaft wünschen.
Der Basler Zoologe Adolf Portmann gibt dafür ein Beispiel (»Vom Wunder des Vogellebens«, Piper 1984).
Die oben beschriebenen Details passen natürlich in der Konsequenz mit den meisten Lehrbüchern nicht richtig zusammen und erzeugen auch weniger konstruktiv gemeinte Kritik. In Publikationen werden knifflige Punkte oft wortreich umschifft … oder erst gar nicht benannt. Umso genauer ich aber im Lebendigen beobachte, desto deutlicher steigen in aller Regel Fragen bzgl. der Ursächlichkeit von Leben und dem Zufallsprinzip von Evolution auf.
Um hier einen Diskurs zu versachlichen, einen Dialog anzustreben, wie sich Leben wirklich organisiert, ist es hilfreich, auf substanzielle, mechanisch anschaubare Lebensprozesse wie die der Federbildung zu schauen. Das geht bis in die genetische Struktur hinein. Ein Beispiel, die Doppelhelix der DNA ist vielen als Modell vertraut:
Zwei miteinander verdrillte Stränge sind laufend durch Basenpaare verbunden. Damit das DNA-Gebilde im Zellkern Platz findet, wird es in Schlaufen gefaltet. Laut Literatur erfolgt eine komplette Windung nach rund 10 Basenpaaren. Bei 3,1 Milliarden Basenpaaren der menschlichen DNA wären dies pro Doppelhelix 310 Millionen Windungen, gefaltet in Schlaufen.
Nun denken wir uns die Zellteilung, die Mitose dazu: Die DNA der Ausgangszelle teilt sich in zwei Stranghälften. Nach Abschluss der Zellteilung findet sich jeweils eine Stranghälfte in einer der zwei Zellen. Der gesamte Teilungsprozess der menschlichen Zelle dauert etwa eine Stunde. Nun denken wir uns diese Aufgabe in eine anschaubare Größe: Einen 2-adrigen Klingeldraht mit 310 Millionen Windungen in einer Stunde irgendwie zu entzwirnen oder in Teile zu zerlegen, um ihn dann mit zwei neuen Drahthälften identisch wieder zu verzwirnen. Nicht nur Hegel wäre auf das Ergebnis gespannt.
Und was hat das nun alles mit unserem realen Leben zu tun? Wir agieren inzwischen mit unterschiedlichsten (bio-)technischen Anwendungen in den intimsten Bereichen des Lebens, obwohl die ihnen zugrunde liegenden wissenschaftlichen Modelle mehr als fragwürdig sind. Mit aller Konsequenz … auf Kosten des realen Lebens.
Marcus Haseitl, Bad Grönenbach
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