Zur ausufernden Berichterstattung über Corona – und was auf der Strecke bleibt
Die Entwicklung in diesem Herbst hat gezeigt, dass Corona eine gefährliche Krankheit ist, die viele Menschenleben bedroht, und die unser Gesundheitssystem sehr schnell an seine Grenzen bringen kann. In so einem Fall muss der Staat eingreifen. Damit, so könnte man meinen, hätten sich die Anti-Corona-Demonstrationen eigentlich erledigt. Allenfalls könnte man noch fragen, wieso es extremen Rechten so leicht gelingen konnte, diese Demonstrationen für sich zu instrumentalisieren.
Ich sehe das nicht so. Triebfeder war ja nicht die Leugnung des Corona-Virus, sondern das Unbehagen darüber, dass der Staat so einfach persönliche, im Grundgesetz verankerte Rechte einschränken kann. Dieses Unbehagen teile ich. Der Artikel von Prof. Kral in der Novemberausgabe zeigt auf, dass es für die Demokratie gefährlich ist, wenn solche Einschränkungen nur auf der Basis von Verordnungen erfolgen.
Dieses Vorgehen hat aber Tradition. Ich habe mein Studium im Jahr 1968 begonnen und habe die damalige Aufbruchsstimmung miterlebt, ebenso die Reaktion des Staates ab den siebziger Jahren.
Da gab es zunächst die Berufsverbote mit teilweise sehr weit hergeholten Begründungen. So durfte z. B. ein DKP-Mitglied nicht Lokführer werden, weil man befürchten müsste, dass er sich weigern könnte, im Ernstfall Panzer an die Front zu transportieren. Jahre später hat der Staat die Bahn privatisiert. Eine Diskussion über die hoheitlichen Aufgaben der Bahn hat es nicht gegeben. Dann folgten die Notstandsgesetze, die Abhörgesetze, die Verschärfungen im Asylrecht usw.
Durch diese Gesetze hat die Exekutive immer mehr Möglichkeiten erhalten, private Rechte einzuschränken, ohne dass eine Kontrolle durch das Parlament erfolgt. Und sie wendet diese Verordnungen auch in Situationen an, die mit dem ursprünglichen Anlass für diese Einschränkungen nichts mehr zu tun haben. Auch jetzt ist zu befürchten, dass nicht alle Einschränkungen, die wegen Corona verfügt wurden, wieder komplett zurückgenommen werden.
Auslöser, diesen Artikel zu schreiben, ist der Beitrag von Jürgen Arnold im November-OHA, Seite 5. Ich teile seine Befürchtung, dass wegen der Diskussion und der ausufernden Berichterstattung über Corona die übrige Politik in den Hintergrund gerät, dass von unseren Hauptproblemen abgelenkt wird. Ich glaube auch, dass die Politik diese Situation nutzen wird, um unpopuläre Gesetze (z. B. CETA) durchzuwinken.
Trotz dieser Gefahr sollten wir die Sorgen der Demonstranten ernst nehmen und dem Staat bei den Corona-Maßnahmen gut auf die Finger schauen. Wir sollten auch weiterhin demonstrieren gegen staatliche Maßnahmen, die wir für falsch halten.
Allerdings möchte ich an keiner Demonstration teilnehmen, bei der z. B. Attila Hildmann oder Michael Wendler quasi als Prominente mitmarschieren.
Christian Weber, Weilheim
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