Canasta-Abend

Personen: die Ehepaare Hartmut und Regina Kaiser und Jörg und Gloria Reichert nach einer Canasta-Partie bei den Kaisers

R: (während sie Wein nachschenkt) Jörg, eure Enkel sind jetzt offenbar ganz vorne mit dabei bei der »Letzten Generation«.

J: Ja, neben ihrer Ausbildung machen sie inzwischen fast nichts anderes mehr.

H: Sie opfern ihre Jugend, weil wir Alten die Weichen verkehrt gestellt haben.

G: Nicht nur unserer Generation ist das anzulasten, meinen Raphael und Selina. Die Fehlentwicklung der modernen Welt begann ihrer Ansicht nach schon mit der Industrialisierung.

R: Sehen die beiden eigentlich noch eine realistische Chance dafür, dass die Menschheit, die sich über Jahrhunderte umweltschädlich verhalten hat, wieder auf einen Natur schonenden Kurs gebracht werden kann?

J: Gloria und ich wollen den Enkeln diese naheliegende Frage nicht stellen, weil das ihren Antrieb bremsen könnte, und weil es zu schäbig wäre, als Mitverursacher der Umweltlasten den beiden in dieser Weise auch noch in den Rücken zu fallen.

G: Die beiden verfolgen die Idee, dass die Welt noch gedreht werden kann, derzeit äußerst konsequent und unerschütterlich. Und so hat Raphael nach dem Abitur eine Schuhmacherlehre in München begonnen, und Selina will ebenfalls eine Laufbahn in einem elementaren Handwerk einschlagen, wie sie immer sagt.

H: Respekt, kann ich da nur sagen und für mich selbst nur hoffen, dass ich den beiden mit meiner Lebensweise nicht allzu viele Steine in den Weg lege.

G: Ach Hartmut, du und Regina, ihr gehört keinesfalls zu den Schwergewichten, die die »Letzte Generation« auf den Plan gerufen haben. Vor allem Raphael sagt, dass die Wende nur mit den Politikern und Großunternehmern in aller Welt herbeigeführt werden kann. Dort muss man erkennen, dass die Wirtschaft in Zukunft nur mehr die elementaren Bedürfnisse der Menschen befriedigen sollte und nicht länger eine schadensträchtige Maschinerie aus Wachstum, gigantischem Energie- und Ressourceneinsatz, Besitzanhäufung und Machtgewinn sein darf. Es darf keinen Wohlstand mehr geben, meint er weiter, der Schaden anrichtet und alles Leben auf dem Erdball angreift.

R: Das klingt eigentlich total überzeugend, was euer Raphael da sagt und denkt. Aber ich fürchte halt, dass die Leute, die bei uns und in aller Welt die Steuerhebel in Händen haben, sich kaum dafür erwärmen können.

J: Das fürchte ich auch. Allerdings sehen Selina und Raphael inzwischen einen mächtigen Kompagnon an ihrer Seite, das Wettergeschehen nämlich. Es gibt ja keinen Quadratmeter mehr auf dem Erdball, der davon nicht massivbetroffen wäre. Die beiden hoffen also, dass das immer extremere Wettergeschehen die Mehrzahl der Erdbewohner zu einem grundsätzlichen Umdenken, und schließlich zur Korrektur ihrer Lebensinhalte bewegen wird.

H: Das wird dann allerdings eine ziemlich kapitale Wende werden. Nur fürchte ich, dass der Verstand der Menschen nicht so weit reicht und dass sie so eine Wende überfordern wird. Man überlegt doch derzeit viel lieber, wie man das aufwändige moderne Leben trotz der rabiaten Natur fortführen kann.

G: Vor allem unser Raphael sagt dazu, wenn ihm jemand so kommt, dass man sich in manchen Zonen der Erde vor der rabiaten Natur möglicherweise ganz gut schützen kann, aber der Rest der Welt eben nicht, und die Menschen dort werden dann die Häuser in den geschützten Zonen stürmen.

R: Das läuft doch im Prinzip schon, Gloria. Ja, und so kann man nur hoffen, dass diese Konsequenz dazu führt, dass die Menschheit endlich einmal an einem Strang zieht und ihre Lebensinhalte korrigiert, um einen Weltbrand dieser Art zu verhindern.

G: Übrigens, dass Selina und Raphael ihre Zukunft in der Welt des Handwerks sehen, liegt nicht zuletzt auch daran, dass sie dort ohne Auto leben können, umgeben von einer einfachen Umwelt und sehr geringem Energieeinsatz, also in einer Welt, die nach ihrer Sicht ganz allgemein Zukunft werden sollte.

H: Gloria, das wäre ja eine Welt, wie am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts.

G: Ja, so ähnlich etwa. Ich selbst finde ja, dass dieses Bestreben arg utopisch wirkt. Aber wenn wir Alten die gegenwärtigen Verhältnisse einmal kühl und unvoreingenommen ins Auge fassen, dann kommen wir vielleicht auch zu dem Schluss, dass wir nur über eine massive Änderung unserer Lebensweise auf dem Erdball noch eine Zukunft haben.

J: Selina und Raphael meinen ja, dass die Zielsetzung der »Letzten Generation« nicht als Utopie enden muss, wenn sich alle Forschung auf der Erde umgehend das Ziel setzen würde, Grundlagen und Konzepte für ein weitgehend schadstofffreies und energiearmes Leben zu entwickeln.

R: Herrgott Leute, diese Überlegung ist doch genial! Ja, ihr drei, die Welt strotzt doch von hochkarätigen Wissenschaftlern und Ingenieuren, und so meine ich, dass sich diese Herrschaften schleunigst um die mit Abstand wichtigste Aufgabe der Gegenwart kümmern sollten.

Guggera

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