Buchbesprechung von Hans Schütz
Kritische Geister haben es irgendwie schon immer geahnt, irgendwie gespürt. Die zunehmende Eroberung all unserer Lebensbereiche durch digitale Medien ist etwas Ungutes, etwas Bedrohliches.
Wer sich aufgrund eines entsprechenden Unbehagens dann daran machte, sich Faktenwissen anzueignen, wozu unter anderem auch der OHA immer wieder seinen Beitrag geleistet hat, der konnte schließlich eine massive Bedrohung der Gesundheit durch Nutzung von digitalen Medien als gegeben konstatieren.
Besonders problematisch ist die intensive Nutzung von Handy, PC, Tablet und Smart-phone bei Kindern und Jugendlichen. Und da beginnt die entsprechende Debatte besonders interessant zu werden, wobei wir die längst wissenschaftlich belegbaren gesundheitlichen Beeinträchtigung durch die bei all diesen Medien benutzte gepulsten Hochfrequenzen einmal ganz außen vor lassen wollen. Dieser Text bezieht sich nämlich auf ein Buch, in dem sich kein Wort dazu finden wird. Es geht beim diesem Buch des Leiters der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm und des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer um die direkten Auswirkungen von Smartphone und Co. auf unsere Gehirnaktivitäten. Er präsentiert dabei alarmierende neue Forschungsergebnisse über diese gesundheitlichen Auswirkungen und Risiken unseres mehr und mehr digitalisierten Lebens. Auf der Grundlage zahlreicher Studien aus der internationalen Forschung zeigt er dabei, wie die intensive Mediennutzung Körper und Geist schadet. Die Folgen sind Angst, Depressionen und Sucht – sowie Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen. Die Lernfähigkeit wird, wie er überzeugend darlegen kann, besonders stark beeinträchtigt. Und damit sind wir wieder bei den Kindern und Jugendlichen, deren Gesundheit und Lernentwicklung.
Auswirkungen gibt es viele: Da ist die Rede von Verlust an Empathie und Respekt, von sozialer Isolation, von der Zunahme an Mobbing, Abzocke und Cyberkriminalität, aber auch von Sucht und vom „globalen Rotlichtbezirk“. Je früher und je intensiver digitale Medien verwendet werden, so kann man zusammenfassen, desto größer die Auswirkungen auf Gehirn und Lernfähigkeit. Dabei verspricht eine erdrückende Lobby von Herstellern und Medienmachern und in deren Gefolge leider auch von zahlreichen Medienpädagogen bis hin zu Lehrerinnen und Lehrern an unseren Schulen uns täglich das goldene Zeitalter der Bildung durch digitale Technik. Fakt ist es nach Spitzer dagegen, dass es sich hierbei um einen massiven Anschlag auf die Kindheit handelt.
Dieses Buch ist trotz des hohen wissenschaftlichen Anspruchs (das belegen unter anderem auch 49 Seiten mit Anmerkungen und 41 Seiten mit Literaturangaben) nicht nur gut verständlich geschrieben, sondern das wichtigste Sachbuch aus dem Bereich der Gehirn- und Lernforschung, das mir bekannt ist. Jeder, der mit Erziehung etwas zu tun hat – also Eltern und Großeltern, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen – sollte verpflichtet werden, es zu lesen. Keiner kann dann mehr sagen, er habe ja nicht gewusst … (Für Politiker gilt das Gleiche, aber da habe ich – gerade auch im regionalen Bereich – die Hoffnung auf unbefangene und vorurteilsfreie Sachdiskussionen weitgehend aufgegeben!)
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Hier noch einige Zitate aus Manfred Spitzers Buch:
S. 81: „Bevor man also jedem Schüler ein digitales Endgerät … staatlich verordnet … sollte man noch einmal über deren Risiken und Nebenwirkungen nachdenken. Nach den vorliegenden Daten wird die überwiegende Mehrheit der jungen Menschen (knapp 90 Prozent) das Smartphone vor allem für Aktivitäten nutzen, die ihrer Bildung, ihrer Gesundheit und ihren sozialen Beziehungen schaden.“
S. 82: „Wie sich gezeigt hat, wirkt sich die intensive Smartphone-Nutzung negativ auf unsere Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit aus. Gegenteilige Behauptungen entbehren jeglicher empirisch-wissenschaftlichen Grundlage.“ „Computerspiele verbessern nicht die Aufmerksamkeit, vielmehr trainiert man sich mit ihnen eine Aufmerksamkeitsstörung an.“
S. 101: „Eine Playstation führt zu schlechten Schulleistungen und mehr Schulproblemen.“
S. 232: „Eine erdrückende Lobby – bestehend aus einer Allianz von Herstellern, Medienmachern und vielen (aber nicht allen) Medienpädagogen – verspricht uns täglich das goldenen Zeitalter der Bildung durch digitale Technik. Fakt ist hingegen, dass diese einen massiven Anschlag auf die Kindheit durch die Einschränkung der Sinne und der körperlichen Bewegung darstellt, den es abzuwehren gilt.“
S. 247: „Auch in Deutschland wurde die kursive Handschrift in manchen Ländern bereits abgeschafft. Die Kinder schreiben Druckbuchstaben und lernen daher nicht mehr die komplexen motorischen Fähigkeiten, die auch ihrem Gedächtnis helfen, wenn sie etwas aufschreiben. … Wir wissen aus entsprechenden Studien, dass die Handschrift die Gehirnentwicklung fördert, dass umgekehrt das Tippen in seiner Komplexität dieser Entwicklung keineswegs entspricht und dass handgeschriebenes im Gedächtnis besser hängenbleibt als auf der Tastatur Getipptes.“
S. 259: „Digitale Informationstechnik lenkt ab und schadet der Konzentration und Aufmerksamkeit. Sie behindert Bildungsprozesse, statt – wie vielfach behauptet wird – sie zu fördern. Entsprechend sind die Studien zum Einsatz von Computern im Unterricht ernüchternd bis peinlich: keinesfalls rechtfertigen sie die Investitionen in digitale Informationstechnik.“
S. 260: Investitionen in digitale Informationstechnik im staatlichen Bildungsbereich stellen demzufolge eine Verschwendung von Mitteln dar, solange die Datenlage so klar ist, wie sie derzeit ist – von den deutlichen Risiken und Nebenwirkungen einmal gar nicht zu reden. An Lehrerstellen zu sparen und zugleich Millionenbeträge für digitale IT auszugeben ist verantwortungslos und bildungsfeindlich.“
S. 316: „Den heute vorliegenden Daten zufolge wiegen die gesundheitsschädlichen Auswirkungen einer digitalisierten Kindheit und Jugend schwerer als die negativ-gesundheitlichen Auswirkungen von Alkohol- oder Tablettenkonsum, Bluthochdruck oder Diabetes, Übergewicht oder Bewegungsmangel.“
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