Was soll ich aus Haiti nach Deutschland schreiben, frage ich einen haitianischen Kollegen. „Dass wir warten“, antwortet er. Auf was? „Dass der Präsident stirbt!“ Nach über zwei Jahren zusammen arbeiten und wohnen kenne ich ihn so gut, dass ich ohne weitere Worte verstehe, dass er kein Attentat im Kopf hat, sondern ausdrückt, dass der Fisch vom Kopf her stinkt und es keine Veränderung bzw. Verbesserung mit der jetzigen Regierung gibt.
Was will man denn lesen aus Haiti, frage ich nach Deutschland? Vielleicht was vom Wald, lautet eine Mail, die mich erreicht, wenn, während der momentanen Regenzeit, spärlich genug, ein flackerndes UMTS- Signal mein Häuschen am Rand des »Forêt des Pins« erreicht.
Also was vom Wald schreiben. Vom übrig gebliebenen Wald. Nicht von den Kiefern, sondern vom »Rak« will ich schreiben. Das ist eine Gebüschform, die als Sekundärvegetation nach der Abholzung entstanden ist, oder aber auch als Rest eines natürlichen Laubgebüschs an den hohen, feuchten, mit Felsblöcken durchzogenen Steilhängen existiert.
Wie häufig auf Inseln gibt es auf Haiti, und insbesondere im »Rak«, jede Menge sogenannte endemische Arten. Das sind Arten, die es nur hier und sonst nirgends gibt. Sie haben sich im Laufe der Evolution durch die Isolation gebildet und geben der Vegetation hier eine hohe Biodiversität, also ein großes Artenspektrum. Zusätzlich trägt die Höhenlage (1500 bis 2600 Meter) zur Isolation bei. Denn die tropisch warmen Täler zwischen den Bergen sind nicht für alle Arten überbrückbar. So kommt es, dass sich sogar auf Gipfeln, die nur etwas mehr als hundert Kilometer entfernt sind, eigene Arten gebildet haben. Die Artenvielfalt gibt dem Wald hier verschiedene hübsche Schutzstatus-Titel: Biosphärenreservat, staatliche Forstreserve, karibischer Biokorridor sind die aktuellsten. Und Hotspot der Biodiversität. Solche Punkte zu schützen hat sich der CEPF, der »critical ecological partnership found« zum Ziel gemacht.
Die vergangenen Tage hatten wir daher einen Besucher aus Frankreich, vom nationalen Conservatoire Biologique in Brest. Hauptzweck seines Besuchs: Zu sehen, wie man eine endemische Wacholderart, von der es auf ganz Hispaniola noch drei oder vier Exemplare gibt, auf Haiti nur noch eine, im Labor vermehren kann. Dieser Baum steht in unserem Projektgebiet, und an ihm »müssen« fast alle Besucher einmal vorbei. Er ist ein männliches Exemplar und alle unsere Versuche, Ableger zu bekommen, hatten nicht gefruchtet. Bis vor kurzem war er der letzte seiner Art hier. Doch oh Wunder, oder Dank der erfolgreichen Sensibilisierung der Leute durch das Projekt hier, haben Kinder in einer unzugänglichen Steilrinne einen zweiten entdeckt. Noch ein Wunder: er hat Beeren drauf, ist also ein weibliches Exemplar. Damit dürfte er gerettet sein. Denn die vegetative Vermehrung im Reagenzglas ergibt ja nur einen Klon und sorgt nicht für die nötige Erhaltung des Genpools, die erfolgt, wenn ein Baum Samen produziert.
Weiteres Ziel des Besuchs aus Brest. Uns helfen, die vielen Arten zu bestimmen. Unsere Kenntnisse – wir haben keine Botaniker – basieren zum Großteil auf dem Wissen der Bevölkerung. Die Pflanzennamen sind lokale Namen, die wenige Kilometer weiter wieder anders lauten. Diese in Einklang bringen mit den botanischen Namen ist ein mehrwöchiger Vollzeitjob. Das wichtigste floristische Inventar Haitis, die Flora von Ekman, einem Schweden, stammt aus dem Jahr 1927. Seitdem wurde im »Forêt des Pins« dazu nichts mehr hinzugefügt. Und erst recht keine lokalen Namen.
Ein hoffnungsvolles Vorhaben, wenn der Botaniker im kommenden Frühjahr, finanziert vom CEPF, mit Verstärkung wiederkommen und, unter anderem, ein Herbarium sowie eine Art botanischen Garten aufbauen will.
Bilder vom Wald: In meinem Kopf sind jede Menge toller Bilder. Ein Bilderbuchtag war jener, an dem ich mit dem Botaniker, einem örtlichen Lehrer und zwei Bauern, durch ein »Rak«, das wir noch kaum erkundet haben, gekrochen und geklettert bin. Meine Ansage, wir würden in den unzugänglichen Teil dennoch hinein wollen, erforderte den Einsatz der Machete, die jeder Bauer so gut wie immer bei sich trägt. Meine Entscheidung erbrachte uns das Erlebnis, dass den Bauern die Namen ausgingen und sie vielfach antworten mussten, diese Pflanze, diesen Baum kennen wir nicht. Also fotografiert, vermessen, eingetütet fürs Herbarium.
Auch eindrucksvoll, als die Bauern dann sagten, jetzt haben sie sich verirrt. Das machte eine halbe Stunde mehr zwischen Felsen klettern, in Löcher stolpern und wieder herauskrabbeln mit baumelndem Notizblock, Wanderstock, Foto, GPS. Immer die beiden Bauern mit der Machete voran. Dann, den Kopf voll mit Adjektiven wie „undurchdringlich, naturbelassen, einzigartig“ gerade noch eine Orchidee fotografiert, unvermittelt heraustreten auf eine abgeholzte und abgebrannte Freifläche. Die vorher überwucherten Felsen nackt, dazwischen kleine Taschen schwarze Erde, kultiviert. Einzigartige Vegetation, geopfert für schätzungsweise ein, zwei Sack Kartoffeln. Noch liegen gelassene Stöcke nehmen die beiden Bauern gleich als Brennholz auf ihre Schulter. Und dann, ein paar Schritte weiter, kommt ein Weg. Er führt uns zurück auf die mageren Wiesen der Karstlandschaft und in die Realität, die den Kiefernwald umgibt.
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