Arbeitsrechte-Kosmetik

Vor zwanzig Jahren ließ Europa seine billigen Kleider in Spanien und Portugal produzieren, dann in der Türkei und Osteuropa. Bald wich die Modeindustrie nach Asien aus. Zunächst nach Thailand, China und Vietnam. Dort ist es mittlerweile ebenfalls zu teuer, die Karawane ist in Bangladesch gelandet. Während im chinesischen Shenzhen die Mindestlöhne bei rund 125 €uro liegen, beträgt der Mindestlohn dort gerade mal 79 €uro – pro Monat selbstverständlich. Der Betrag wurde 2007 festgesetzt – auf Basis der Preise von 2005. Was schon damals fürchterlich niedrig war, spottet nach fünf Jahren mit rasanter Inflation jeder Beschreibung. Alleine diesen Mai stieg der Preis für das Grundnahrungsmittel Reis in Bangladesch um ein Viertel. Vor diesem Hintergrund ist es gut zu verstehen, warum – vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte – Arbeiterproteste noch an Heftigkeit gewannen, nachdem die Regierung eine Erhöhung der Mindestlöhne um 80 Prozent bekannt gegeben hatte. Denn gerechnet hatten die Arbeiter mit einer Verdreifachung ihres Lohns.

Das wäre freilich von den Fabriksbesitzern nicht zu schultern gewesen, noch dazu von heute auf morgen. Auch diese darf man sich nicht als satte Kapitalisten vorstellen, die sich auf Kosten ihrer Mitarbeiter ein protziges Leben finanzieren. Immerhin prügeln sich im Land 5.000 Bekleidungshersteller um westliche Aufträge – in knallhartem Preiswettbewerb gegeneinander. Wenn jemand die Macht hat, an den Arbeitsbedingungen etwas zu ändern, dann die Kunden im Westen. Die Metro AG, ein Konzern mit unvorstellbaren 65 Mrd. €uro Umsatz, eröffnete Mitte August eine Kindertagesstätte in einem der größten Bekleidungszentren des Landes: 60 Kinder finden in der zweifelsfrei hochmodernen Einrichtung Platz. Doch alleine im Nahbereich des Kindergartens gibt es 300 Strickfabriken. 20 oder 30 Frauen zu helfen, ist eine feine Sache. Aber es riecht nach Kosmetik.

Manuel Riedl
Aus: Textilzeitung 16/2010

 

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