Aus Tegucigalpa berichtet diesmal die vierzehnjährige Janina Böttger, die über ein Jahr in der Hauptstadt von Honduras eine Privatschule besucht hat. Jetzt ist ihr Aufenthalt dort zu Ende.
Als ich vor gut einem Jahr nach Honduras gegangen bin, beneideten mich viele Leute für meinen Mut, denn fast niemand hätte so etwas wirklich gemacht. Ich habe es getan – und bis heute kein bisschen bereut.
In den vergangenen 12 Monaten habe ich so viel gelernt.
Erst mal Abschied nehmen von den Leuten, die man liebt und von dem gewöhnlichen Alltag. Ich wollte diesen Lebensstil nicht mehr leben, sondern etwas Neues kennen lernen. In Deutschland hat man im Gymnasium viel Schuldruck und ich wollte einfach eine neue Erfahrung machen.
Schuldruck in diesem Sinne gibt es hier natürlich auch. Da ich auf eine Privatschule gehe, die Klassen nicht mehr als 15 Schüler haben, war diese Schule ein Genuss für mich. Meine Klasse im Gymnasium war sehr voll. Deshalb konnten die Lehrer nicht so gut auf jeden einzelnen Schüler eingehen, und manchmal nahmen wir das nächste Thema dran, obwohl wir es noch nicht richtig verstanden hatten. In der Discovery School war das anders. Wegen der kleinen Klassen können die Lehrer auf einen mehr eingehen und somit macht es Spaß, in die Schule zu gehen – und gute Noten zu bekommen.
Ein weiterer Punkt, den ich gelernt habe, war, dass der Unterschied zwischen Arm und Reich krasser ist, als man denkt. Meine Freunde und Freundinnen wohnen in gigantischen Häusern und haben hier im Land etwas zu sagen.
Natürlich reden diese Leute immer von helfen, bauen ein paar Häuser oder erneuern mal eine Straße: ist vielleicht eine Hilfe für ein paar Menschen. Aber der Präsident und die Regierenden kümmern sich eigentlich überhaupt nicht um die Leute, sondern um ihren Wohlstand. Das sieht man, wenn man durch Tegucigalpa und Central Amerika fährt.
Ich habe schon so viele Städte in Lateinamerika gesehen, und in keiner war es anders. Schlaglöcher auf der Hauptstraße, Leute, die im Müll vergeblich nach Resten suchen, die die Wohlhabenden reichlich wegschmeißen, und die vermüllten Straßen und Armutsviertel.
Die einheimischen Märkte werden nur von Ärmeren besucht, da sie sich die Waren aus ausländischen Läden nicht leisten können. Und die Kinder, die auf den Straßen schuften müssen, ob als Autofensterputzer, Verkäufer, Bettler oder Clowns, damit sie einen Dollar für die Familie erarbeiten, das ist nur eines der vielen Probleme in Honduras. Kinder haben Rechte und Bedürfnisse. Und wie sollen sie jemals einen anständigen Job finden, wenn sie weder eine anständige Schulausbildung noch die Möglichkeit haben, sich ein richtiges Leben aufzubauen? Ich glaube nicht, dass die Leute froh darüber sind, in Coffee Shops oder als Straßenhändler zu arbeiten.
Eigentlich wissen wir Deutschen überhaupt nicht, in was für einem Luxus wir leben. Wir können uns frei auf den Straßen bewegen und unsere Häuser haben nur kleine Holzzäune. Wenn man nachts durch die Straßen Tegucigalpas wandert, sieht man keine Häuser, keine Menschen und Kinder. Höchstens vielleicht Straßenhunde. Alles ist hinter großen Mauern und Gittern.
Die Zeitungen sind jeden Tag voll von Morden und Entführungen, so dass Tegucigalpa nicht zu Unrecht die fünftgefährlichste Stadt der Welt ist. Die Armut und Hoffnungslosigkeit treibt viele Menschen in Gewalt und Kriminalität. Wenn man sich auf der Straße umschaut und weiß, dass fast jeder Mann eine Waffe besitzt, fährt es einem kalt den Rücken runter. Ich habe diese Seite mit meinen eigenen Augen gesehen, als ich einmal in einem Coffee Shop gegenüber einer Tankstelle saß. Zuerst habe ich eine Prügelei gesehen und danach Schüsse gehört, die ein Teenager auf einem Pick up abschoss. Das alles nicht weit von mir.
Für uns in Deutschland ist das schwer vorstellbar und deshalb verstehen wir die Handlungen der Leute nicht. Wir meinen, helfen zu müssen, obwohl es im Endeffekt dem Land nicht weiterhilft.
Wir als Deutsche werden respektiert und geachtet, weil die Einheimischen wissen, dass wir viel Macht als Land und Firmen auch in Honduras haben. Und wir gut Fußball spielen können.:)
Die Modelagenturen hier suchen nach Models aus Europa und USA, weil wir angeblich was Besseres sind. Ich frage mich nur, wie Leute so etwas denken können, schließlich sind wir keinesfalls etwas Besseres. Natürlich sprechen wir von Frieden und Gerechtigkeit, aber eigentlich wollen wir als Land nur mehr Macht und Sagen.
Nach einiger Zeit habe ich gelernt, damit umzugehen, dass wir uns nicht in die Lage der Ärmeren hier versetzen können.
Aber das Jahr in Honduras hat mir die Augen geöffnet zu einer neuen Realität, auch wenn ich viele Sachen noch immer nicht verstehen kann. Ich habe ein Jahr in unmöglich reichen Umständen gelebt, habe Familien kennen gelernt, die reicher als wir alle sind und sich locker einen Wochenendtrip nach New York leisten können. Aber trotzdem habe ich den Boden nicht verloren. Ich könnte nie so leben, zu wissen, dass Armut und Gewalt unmittelbar vor deiner Haustür sind, wo du dich gleichzeitig mit Kaviar im Pool vergnügst.
Jeder Mensch kann versuchen, für eine bessere und fairere Welt zu sorgen, wenn man sich nur mal beteiligt. Daheim zu sitzen und zu sagen, dass es genügend Menschen gibt, die helfen, finde ich feige und unverständlich. Ich will die Sachen verändern und versuchen zu helfen, wo es geht.
Und doch ist es jetzt für mich soweit. Meine Koffer müssen gefüllt werden und erneut muss ich Abschied nehmen. Die Schule fängt in Deutschland im September an und ab dann muss ich mich wieder mehr anstrengen, da ich Latein schon etwas vergessen habe. Die 14 Wochen Ferien geben mir jetzt noch mal die Möglichkeit, auf all das, was ich gelernt und erlebt habe, zurückzuschauen. Meine Sprachkenntnisse in Englisch und Spanisch sind nur einige der vielen Dinge.
Diese ganzen Erfahrungen kann mir niemand mehr nehmen.
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