Irgendwann in den frühen neunziger Jahren des späten 20. Jahrhunderts eröffnete mir meine Frau, dass sie jetzt in einer Frauengruppe sei. Vermutlich habe ich sie gefragt, ob sie ihre Biografie an meiner Seite neuerdings als zu eintönig empfinde. Und ich habe in (dunkler) Erinnerung, dass sie, statt einer Antwort, eine Erklärung abgab: das sei so etwas wie die AA, also die anonymen Alkoholiker.
Ein paar Monate später war ich Mitglied einer Männergruppe, die sich – fast wie von selbst – aus den Partnern der Frauengruppenfrauen gebildet hatte. Keiner von uns hatte ein Alkoholproblem, unsere Frauen übrigens auch nicht; aber davon später mehr.
Wir waren die Montagsmänner. Weil wir uns jeden Montag in der Münchner Daiserstraße trafen, von 19 bis 21 Uhr. Bald gab es an jedem Wochentag zwei Gruppen dort. Anschließend musste das Zentrum sich größere Räumlichkeiten in einem weit entfernten Stadtteil finden. Wir blieben zusammen und trafen uns privat, noch runde zehn Jahre lang.
Die vaterlosen Generationen
Bücher über Vätermangel (»Die vaterlose Gesellschaft«) und über den »verunsicherten modernen Mann« füllen lange Bibliotheksregale. Tatsache ist, dass es kaum einen Kindergärtner oder Grundschullehrer gibt oder gar einen Kinderkrippenmitarbeiter. Tatsache ist zwar auch, dass es eine bedächtig zunehmende Zahl von Vätern gibt, die es wagen, eine Erziehungs-Auszeit vom Job zu nehmen. Fakt ist aber auch, dass mehr als 90 % der Erziehungsarbeit und Wissensvermittlung bis in die Pubertät hinein nach wie vor von Frauen geleistet wird. Männer – Mangelware. Von wem sollen unsere Söhne (die »kleinen Helden in Not«) sich abkucken, was es heißt, ein Mann zu sein? Von ihren Feierabend-Wochenend-Vätern? Die Töchter haben die Mama, als Vorbild und Konkurrenzgestalt; die Söhne wursteln sich so durch bei ihrer Mannwerdung. Ganz zu schweigen von den Rumpffamilien, die in der Regel aus Mutter plus Kind(ern) besteht.
Ausnahmen hierzu gibt es praktisch nur auf dem Land, auf Bauernhöfen, oder in manchem kleinen Handwerksbetrieb: dort werkelt der Vater mit dem Sohn – so wie das vor der Industrialisierung noch überall üblich war. Dort zeigt er ihm noch, wie die Arbeit geht, und nebenbei (und hauptsächlich), was und wie ein Mann so alles macht. Und dass er ganz anders ist, als die Mama und die anderen Frauen, und dass das gut so ist.
Naturgesellschaften – also soziale Strukturen ohne Industriearbeit – hatten und haben Männerbünde. In Teilen Afrikas und Südostasiens (und auch Lateinamerikas) kommen die Mädchen zu Beginn der Pubertät nach wie vor in ein Mädchenhaus, die Jungen in ein Jungenhaus, mit jeweils ausschließlich gleichgeschlechtlichen Bezugspersonen. Die Separierung der Söhne von der Mama ist erwartungsgemäß nicht ganz reibungslos: die Mütter haben da mit einer Austreibung mittels ritualisierter Stockhiebe nachzuhelfen.
Hinzu kommt bei uns, seit 5-6 Generationen, dass die Väter jeweils auch kaum ihre Väter erlebt haben, dass das Problem sich also vervielfältigt hat. Und hinzu kamen zwei Kriege, aus denen die Väter von ihrem blutigen Soldatenhandwerk entweder gar nicht, oder schweigsam, versteinert, traumatisiert zurückkamen. »Das Drama der Vaterentbehrung« – so titelt ein bekanntes Buch, »Vom Untergang des Mannes«, so ein anderes.
Was also tun? Wenn die Väter seit 150 Jahren zum Manko geworden sind, müssen sich eben die heutigen vaterlosen Gesellen zusammenrotten. Hier kommen nun wieder die Anonymen Alkoholiker, und diesmal ernsthaft, ins Spiel.
Die Praxis
Die AA haben nämlich für sich und gleichzeitig für den Rest der Menschheit ein geradezu grandioses Regelwerk entwickelt. Wichtigster Punkt: jeder ist verantwortlich für sich und sein Leben. Auch im Sinn von: es ist nie zu spät dafür, eine glückliche Kindheit zu haben. Und es ist nie zu spät, den eigenen (inneren) Vater kennen zu lernen, und ihm ein paar Nachhilfestunden zu geben. Dabei zeigt sich, ganz nebenbei: Mannsein ist kein Zustand, den man erreicht, um darin selbstgefällig zu verharren, sondern ein lebenslanger Weg.
Zweiter Punkt, genauso wichtig: zuhören ist unermesslich besser als besserwissen. Ein »normales« Gespräch, sind wir doch mal ehrlich, wird heute doch allzu oft als eine Art Wettkampf ausgefochten: wer am meisten, schnellsten, lautesten »etwas zu sagen hat«, hat gewonnen. In AA- und anderen Gruppen lernt man wieder, wie heilsam es ist, wenn endlich ein paar Gleichgesinnte einfach nur zuhören, statt mit ihren Klugheiten rhetorisch imponieren zu wollen.
Und drittens: jeder spricht von sich. Statt über andere zu reden, teilt er eigene Erfahrungen mit, seine Hoffnungen, Wünsche, Erfolge und Misserfolge. Und statt all das zu wiederholen, was er schon weiß, versucht er sich dem zu nähern, wo er unsicher ist, wo er das eigene Leben noch nicht in säuberlich beschriftete Schubladen versteckt hat; wo vielleicht das ein oder andere unklare Gefühl mit im Spiel ist.
Die Mangelfreundschaft, der Freundschaftsmangel
Es hat sich so eingebürgert, dass ein Artikel, wenn er mit einer persönlichen Anekdote beginnt, auch mit einer ebensolchen enden sollte. Also gut. Ebenfalls vor ca. zwei Jahrzehnten fiel mir auf, dass Frauen so gut wie immer gute Freundinnen hatten, und darunter meistens eine »beste Freundin«. Ich dagegen hatte weder enge Freunde, noch gar einen besten Freund. Neid nagte an mir, wenn meine Frau sich von einer ihrer zweitbesten Freundinnen, bei jedem kleineren Ehekrach, mal eben eine stundenlange telefonische Unterstützung holte.
Warum Männerfreundschaften schwierig und eher selten sind, auch darüber gibt es genügend Literatur: Konkurrenzdenken, Imponiergehabe und Misstrauen, das sind hierbei die beliebtesten Rezepte zum Misserfolg. Und die fatale Fabel vom Einzelkämpfer („Da muss ich jetzt alleine durch!“).
Eine Männergruppe ist das ideale Terrain dafür, derartige Verhaltensmuster erstens zu erkennen und zweitens abzubauen.
Und das Beste kommt zum Schluss (um schnell noch den Titel eines bekannten Männerfilms zu zitieren): in unserer Weilheim-Wielenbacher Männergruppe sind noch Plätze frei …
1 Kommentar
Würde echt gern mal Mäuschen spielen am Dienstag um halb acht. Bin leider kein Mann. Und ich hasse Frauengruppen. Denn die Strukturen und Verhaltensweisen sind die gleichen. Nur nicht hineinschauen lassen! Aber eine beste Freundin oder auch zwei: das ist nicht zu übertreffen! Viel Spaß!