Zwischenruf eines Blauäugigen: Terrorismus ist besiegbar … wenn wir umdenken (2)

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Peter Vonnahme
Der Autor war bis zu seiner Ruhestandsversetzung
2007 Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München.

Feindbild Islam

In einem ersten Schritt müssen alle dogmatischen und sorgsam gepflegten Scheuklappen abgelegt werden. Wenn heute der Islam als Quelle allen Übels verdächtigt wird, dann sollten wir uns daran erinnern, dass das nicht immer so war. Es gab lange Perioden des friedlichen Zusammenlebens zwischen Muslimen, Juden und Christen. Wenn es heute anders ist, dann ist das Beweis dafür, dass sich irgendwann in der Vergangenheit etwas zum Schlechteren verändert hat. Wir müssen also ergründen, warum es heute anders ist. Die Ursachen für die Verschlechterung der Beziehungen können weit zurückliegen und sie können im Verborgenen liegen. Denkbar sind neben Kolonialismus, Ausbeutung und Hegemonie-Bestrebungen auch kulturelle Überheblichkeit, Ausgrenzung, Geringschätzung anderer religiöser Überzeugungen, Bevormundung, Übervorteilung, Armut, Hoffnungslosigkeit sowie tatsächliche oder vermeintliche Kränkungen und Entrechtungen.

Islamismus

Es ist an der Zeit, dass wir wohlfeile, aber vereinfachende Erklärungsmodelle hinter uns lassen. Der immer wieder gehörte Hinweis „Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber alle Terroristen sind Muslime“ ist inhaltlich nicht richtig (Näheres hierzu Jürgen Todenhöfer). Doch selbst wenn die Tatsachenbehauptung stimmen würde, wäre der Satz dennoch falsch. Er hat denselben Erkenntniswert wie die Feststellung, dass alle Atombomben der Menschheitsgeschichte von Christen abgeworfen wurden und zudem alle Drohnenmorde, Kreuzzüge und Hexenverbrennungen von Christen zu verantworten seien. Ebenso wenig wie diese Verbrechen den Kern des christlichen Glaubens abbilden, ist das Phänomen des Terrorismus dem Islam zuzurechnen. Eine solche Vereinfachung verkennt, dass muslimische Terroristen längst den Boden ihres ursprünglichen Glaubens verlassen haben. Ihr Handeln hat somit mit dem Islam genauso viele Gemeinsamkeiten wie die Verbrennung von Ketzern auf dem Scheiterhaufen mit der Lehre von Jesus. Nicht die Bibel oder der Koran sind schuld an den Wahnsinnstaten, sondern die Verirrungen Fehlgeleiteter. Verantwortlich sind nicht »der Islam« oder »das Christentum«, sondern Islamismus und christlicher Fundamentalismus. Im Übrigen übersehen die Vereinfacher völlig, dass nicht Europäer und Amerikaner die Hauptleidtragenden islamistischer Terroraktionen sind, sondern Menschen, die in islamisch geprägten Ländern leben.

Entsolidarisierung

Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich dramatisch geöffnet. Die 80 Superreichen dieser Erde haben so viel wie die ärmere Hälfte der Erdbevölkerung und das sind immerhin 3,5 Milliarden Menschen. Ein solches System schafft Verbitterung und Hass. Die zornigen jungen Männer, die sich dagegen auflehnen, sind nicht Monster, die das Böse in sich tragen, sondern sie sind die Kehrseite einer entsolidarisierten »freien« Gesellschaft. Wer das total entgrenzte System treffen will, hat es leicht. Er kann überall und jederzeit zuschlagen. Für Hoffnungslose ist es gleich, wen sie treffen, Hauptsache es trifft dieses System. Nur wenn es gelingt, das System in eine solidarische Gesellschaft umzubauen, besteht eine Chance. Wer es aber nicht einmal versucht, macht sich mitschuldig an den Toten der Zukunft (Staatssekretär a. D. Heiner Flassbeck).

Doppelmoral

Der auf einer „christlich-jüdischen Wertegemeinschaft“ aufbauende Westen ist einer beängstigenden Selbstgefälligkeit verfallen. Wir haben keine Zweifel: Wir sind die Guten. Wer nicht mitspielt, ist der Böse.
Wir messen mit zweierlei Maßstäben. Wir beklagen den Blutzoll, den uns „der Islam“ auferlegt. Tatsache ist aber, dass Täter mit christlichem oder jüdischem Glaubenshintergrund im letzten Jahrhundert ungleich mehr Muslime getötet haben als umgekehrt Christen und Juden durch muslimische Gewalttäter umgekommen sind. Im ersteren Fall nennen wir das Selbstverteidigung oder gerechter Krieg, im letzteren Fall islamistischen Terrorismus. Zur inneren Rechtfertigung des eigenen Tuns genügt die Überzeugung, dass man selbst auf der richtigen Seite der Geschichte steht. Unsere Politik lebt von Doppelmoral. Wir haben uns verrannt. Kürzlich sprach Bundespräsident Gauck angesichts einer Bombendetonation in Istanbul, bei der mehrere Deutsche umkamen: „Wieder wurden bei einem hinterhältigen terroristischen Anschlag unschuldige Menschen ermordet“. Er hat ja Recht. Aber hat man jemals Vergleichbares von ihm und Seinesgleichen gehört, wenn durch völkerrechtswidrige westliche Interventionskriege hunderttausende unschuldige Muslime ums Leben kamen wie etwa im Irak, in Libyen, in Syrien? Wo bleiben dann die Millionenaufmärsche in unseren Hauptstädten? Und wo bleibt die westliche Politprominenz wie seinerzeit beim Marche Républicaine nach dem Charlie Hebdo-Attentat? Wo sind die Sondersendungen im TV?
Solange der innere Zusammenhang zwischen rechtswidrigen Kriegen und der Zunahme bestialischer Terrormorde nicht begriffen wird, werden wir mit dem Terrorismus leben müssen und nebenbei auch mit der Millionenschar verzweifelter Kriegsflüchtlinge, die unser Land fluten.

Gespaltene Zungen

Politik und Medien sprechen mit gespaltener Zunge, wenn sie terroristische Attentäter stereotyp als feige und hinterhältig bezeichnen. Ist es etwa mutiger, in einem sicheren Befehlsstand in den USA auf einen Knopf zu drücken, um einen in Afghanistan vermuteten Gotteskrieger samt seiner Entourage mittels lautlos anfliegender Drohnen zu ermorden? Das, was bei uns als feige und hinterhältig eingestuft wird, ist die Folge davon, dass die terroristischen Einzeltäter weder über Drohnen noch über Jagdflugzeuge verfügen. Es ist zu vermuten, dass viele dieser Desperados ihre zur Selbstvernichtung führenden Sprengstoffgürtel liebend gerne gegen modernes Kriegsgerät austauschen würden. Aber das ist uns keinen Gedanken wert.

Falsche Sprachbilder sind wirkmächtig. Denn entscheidend für unsere Weltsicht ist nicht, was ist, sondern woran man glaubt.

Was tun?

Mit dem Erkennen von Fehlern ist es nicht getan. Das Erkannte muss auch umgesetzt werden. Hierbei sind Begegnungen »auf Augenhöhe« und die strenge Beachtung des Rechts unverzichtbar. Letzteres gilt auch – und gerade – dann, wenn sich die andere Seite außerhalb des Rechtsrahmens bewegt. Es mag schwerfallen, aber Rechtsstaaten dürfen sich in ihrer Reaktion auf terroristische Übergriffe unter keinen Umständen zu illegalen Handlungen hinreißen lassen. Wer glaubwürdig sein will, muss die »Stärke des Rechts« beweisen und nicht das »Recht des Stärkeren« praktizieren. Es ist fatal, wenn ein Staat Kriege führt mit dem Anspruch, andere Länder zu demokratisieren, und hierbei seinerseits Völkerrecht oder Menschenrechte massiv verletzt. Nicht weniger schlimm ist es, wenn wir, die Guten und Gerechten, im Umgang mit ressourcenreichen Unrechtsstaaten bei deren Rechtsbrüchen schelmenhaft beide Augen zudrücken, nur um eigene Vorteile zu erlangen. Wer so handelt, macht sich im wahrsten Sinne des Wortes angreifbar. Einer solchen Politik der Beliebigkeit wird es nicht gelingen, die Keimzellen des Terrorismus auszutrocknen. Denn es fehlt ihr am Wichtigsten, an Glaubwürdigkeit.

Wir müssen begreifen, dass nur ehrlicher Dialog zu geistiger Abrüstung, Verständnis und – am Ende eines schwierigen Prozesses – zu Befriedung führt. Das geht nicht ohne Respekt für andere Sichtweisen. Im Bereich der Religion sollte das am Ehesten möglich sein, hier gibt es kein falsch oder richtig, sondern nur glauben oder nicht glauben. Das ist die Spielwiese der Toleranz. Wenn man der muslimischen Welt mit Blick auf deren größere Verletzbarkeit in Religionsfragen mit Empathie und Nachsicht begegnen würde, wäre das nicht Ausdruck von Feigheit oder gar Kapitulation. Es wäre nur Respekt vor anderen Überzeugungen. Die Grenze des Entgegenkommens setzt in jedem Fall das, was in internationalen Konventionen verbürgt ist.

Doch auch im diesseitigen Leben muss die Einsicht reifen, dass unsere westlichen Vorstellungen nicht schlechthin für andere Kulturen maßstabbildend sind. Wir können unsere Lebensformen anbieten, sie erklären und für sie werben. Aber herbeibomben lässt sich Akzeptanz nicht. Aufgabe der Politik wird es sein, die Integration des friedfertigen echten Islam in Europa zu fördern und friedliche Muslime zu stärken. Die Grenzlinie verläuft nicht zwischen christlichen und muslimischen Gesellschaften, sondern zwischen Weltoffenheit und Verblendetheit.

Last but not least

Die Anwendung militärischer Gewalt wird auch in Zukunft nicht völlig vermeidbar sein. Aber sie muss künftig in jedem Fall ultima ratio sein und sie muss die Regeln des internationalen Rechts beachten. Nicht mehr und nicht weniger.

Entscheidend aber wird es sein, dass wir endlich aufhören, ausschließlich in den Kategorien des Militärs und der repressiven Gewalt zu denken. Solange wir glauben, wir könnten unser Leben und unsere sogenannten westlichen Werte hauptsächlich mit Panzern, Kampfhubschraubern und Drohnen verteidigen, werden wir keine Ruhe bekommen.

Peter Vonnahme

 

Teil 1 des Artikels finden sie hier: Zwischenruf eines Blauäugigen (Teil 1)

 

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