Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik
Die in Buchform erschienene wissenschaftliche Untersuchung der Geschichte des Auswärtigen Amtes (AA), also des Außenministeriums, seit 1933 ist eine auch im Wortsinn schwere Lektüre (1 kg!). Auf 711 Seiten zuzüglich 164 Seiten Anhang entsteht das Bild einer von der Gesellschaft abgehobenen, vorwiegend adligen selbsternannten »Elite«. Leider hatte ich keinen »Gotha« (Adelskalender) zu Hand. Fast 80 Jahre nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten werden die willigen Helfer aus dem Auswärtigen Amt als Antisemiten und Schreibtischtäter entlarvt.
Der eigentliche Skandal ist jedoch die Tatsache, dass es den meisten gelungen ist, nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes in den Dienst der Bundesrepublik zu gelangen und sich gegenseitig als „unbelastet“ darzustellen. Rund um den sog. »Wilhelmstraßenprozess«, den Prozess gegen Ernst von Weizsäcker, Staatssekretär und zuletzt Botschafter beim Vatikan, Vater des ehemaligen Bundespräsidenten, entstanden Seilschaften aus ehemaligen AA-Angehörigen, welche sich gegenseitig Persilscheine ausstellten. Zu den Ehemaligen gehörte auch Kurt Georg Kiesinger, der es immerhin zum Bundeskanzler brachte.
Ein trauriges Bild geben Außenminister Willy Brandt und sein Staatssekretär Egon Bahr ab. Es ist ihnen nicht nur nicht gelungen, die ehemaligen Pg’s, SA- und SS-Mitglieder aus dem Amt zu entfernen, sie stellten sich bei Kritik an der Wiederbeschäftigung auch oft hinter die betroffenen Ex-Nazis.
Die in der Bundesrepublik hochverehrte Gräfin Marion Dönhoff (+ 2002) unterhielt ein Netzwerk zur Unterstützung belasteter Ehemaliger.
Dass sich der CSU-Abgeordnete Strauß Anfang der 1950er Jahre vehement gegen ein Abkommen mit Israel (Luxemburger Abkommen 1952) aussprach, ist ein interessantes Detail der Geschichte.
Das Buch kann als Musterbeispiel der Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik genommen werden. Aus den alten Nazis und Antisemiten wurden „heimliche“ Widerständler. Keiner war an den Untaten beteiligt, auch wenn dafür zahlreiche Dokumente vorhanden sind.
Erst die Beschwerde einer Angestellten des AA über den Nachruf auf einen Ex-Nazi brachte den Stein ins Rollen. Es ist dem Ex-Außenminister Joseph Fischer zu verdanken, dass dieses Buch geschrieben werden konnte.
Sehr empfehlenswert für geschichtsinteressierte Leser!
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