Personen: Sindi Loder und ihre Mitschüler Josua Kohler und Carlo Weiß (alle 15) in Sindis Zimmer
S: Also, ihr zwei, wenn uns die Hanfstingel schon vorschlägt, eine Stellungnahme zu dem Theaterstück zu schreiben, das an unserer Schule gerade in der Probephase läuft, dann sollten wir das jetzt in einem Zacken durchziehen.
C: Und zwar knallhart!
J: Ich bin echt scharf darauf, Sindi, denn dieses »zeitkritische Stück« kommt ja ganz ohne die wirklich wichtigen Kritikpunkte daher.
C: Das kann kein junger Mensch geschrieben haben, zumindest keiner, der die Welt mit unseren Augen sieht.
S: Meine ich auch. Die Texte könnte glatt mein Daddy verfasst haben.
J: Und der Titel »Wir verändern die Welt« liegt maximal daneben und kracht nur so vor blindem Optimismus. Dass das nicht zu machen ist, hat doch »Fridays for Future« recht bald erfahren müssen.
S: Und ich erfahre das fast jeden Tag, wenn ich nur die Verkehrssituation in unserer Stadt anspreche. Sogar meine Eltern meinen, dass man unser Mobilitätssystem nur ganz allmählich umstellen kann, dass also den Fußgängern und den Radfahrern vorerst nicht die erste Priorität eingeräumt werden kann. Man müsse dabei immer die Wirtschaft im Auge haben, sagen sie.
C: Ja, und dann die Phase in dem Stück, in der das Handy groß herauskommt. Wie der Retter der Welt tritt es auf, allerdings ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass es sich die Jugend und sogar Kinder mit üblen Tricks und ohne Rücksicht auf Verluste unter den Nagel gerissen hat. Ja, und auch kein Wort darüber, dass es das Leben der Menschen hektisch macht und dass es ein giftiger Zeiträuber ist.
J: Dieses Theaterstück deckt auch nicht auf, dass wir jungen Menschen eigentlich keine Chance haben, in den Lauf der Welt einzugreifen. Wir werden von den Erwachsenen, die diesen Lauf in Gang halten, einfach überfahren, und werden, was ich als besonders fies empfinde, von ihnen auch noch als Wohlstandsschmarotzer hingestellt. Dabei ist ein ganzer Packen unseres Wohlstandes nicht unser Ding. Wir stehen nicht auf das Auto, nicht auf die Flugreise, nicht auf die Kreuzfahrt und eigentlich auch nicht auf das Handy.
S: Im Grunde wird die Welt in diesem Stück vor allem mit Hilfe technischer Neuerungen verändert, die noch dazu nicht so aufgebaut sind, dass sie die Umwelt und die Natur entlasten.
C: Genau! Und es ist auch kein Nein zum Wachstum zu hören, und es wird auch nicht die Umkehr zum einfachen Leben gefordert.
J: »Wir verändern die Welt, wir machen die Zukunft« singen die zwölf Schauspieler am Schluss triumphierend und ihr Gesang endet schließlich als Canon. Sie singen einfach super und verpassen damit dem Stück ein tolles Finale. Ich schätze aber schwer, dass es trotzdem auch der Hanfstingel nicht so recht gefällt.
S. Also, ich seh schon, dass uns diese Stellungnahme keine Probleme bereiten wird. Ja, und ich bin mir auch fast sicher, dass die Hanfstingel unsere Arbeit in eine der nächsten Deutschstunden einbauen wird.
C. Das wäre obergeil, Sindi. Du, für mich ist unsere Deutschlehrerin sowieso eine von den wenigen Erwachsenen, für die ich meine Hand, ohne mit der Wimper zu zucken, ins Feuer legen würde.
J: Ich auch. Ja, und da frage ich mich, warum gibt es so wenig Leute wie die Hanfstingel in unserem Land und auf der Welt.
Guggera
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