Der moderne Mensch

Die Pilger Marita und Jörg Kohlmann und Hanna Harms auf der Terrasse des Gasthof Bayerischer Rigi auf dem Hohen Peißenberg

M: Ja, dass man uns in der letzten Unterkunft recht eindringlich empfohlen hat, einen Abstecher hier herauf zu machen, ist wirklich ein Glück für uns.

H: Ein ganz großes, Mari. Das grüne Land unter uns und dahinter die schneebedeckten Alpengipfel, das ist einfach traumhaft.

J: Und dann noch dieser Apfelkuchen … also, schöner kann ein Pilgertag nicht sein.

M: Wirklich nicht.

H: Da blendet man auch ganz gerne den Mordsautoverkehr mitten im Grün aus.

J: Der modernen Welt … kann auch der Pilger … kaum entgehen (sagt er mit halb vollem Mund).

M: Den modernen Menschen kann er nicht entgehen, wolltest du wohl sagen.

J: Richtig. Auch wenn der Pilgerweg von Nord nach Südwest ziemlich konsequent abseitig angelegt ist, marschieren wir jetzt doch schon den vierten Tag durch ein recht betriebsames Land.

H: Betriebsam ist freundlich formuliert, Jörg. Ich empfinde es hektisch und irgendwie ziellos.

J: Da hast du Recht, Hanna. Gerade dem Pilger erscheint es so. Gerade dem Pilger wird bewusst, dass die moderne Welt einem rasant drehenden Strudel gleicht.

M: Der immer schneller rotiert.

H: Die letzten Tage, viel öfter als früher, habe ich mir immer wieder überlegt, wie es nur so weit kommen konnte, dass die halbe Welt in diesem Zustand lebt.

J: Es waren viele kleine Schritte, die sich im Lauf der Zeit aufsummierten.

M: Zu einem Zustand, der nicht nur Teile unserer Jugend beunruhigt, ja sogar ängstigt.

H: Was nicht verwunderlich ist. Gerade junge Menschen spüren, dass viele Menschen ein zu aufwendiges Leben führen, das sie selbst und die Natur überlastet.

J: Und der Verkehrsstrom da unten ist nur ein Beleg für das zu aufwendige Leben; für ein Leben, das sich stützt auf enormen Energieverbrauch, auf den Raubbau im Bereich Rohstoffe und Land und darüber hinaus einhergeht mit den großen Belastungen für Mensch und Natur. Was im Fall Motorfahrzeug vor einem Jahrhundert ganz klein begann, hat sich im Lauf der Zeit zu einer Lawine entwickelt.

H: Und das lässt sich schier uferlos fortsetzen: ob das nun das Flugzeug ist, die hemmungslose Reiselust, die allgemeine Technisierung, der Hang zu immer mehr Komfort, das Immer-Schneller und das Immer-Weiter. Der moderne Mensch ist ein Getriebener und, wie ich vorhin schon sagte, er ist ohne klar erkennbares Ziel unterwegs.

M: Er hat sich verrannt, Hanna. Und so ist es kein Wunder, dass ihm auf diesem Irrweg so mancher junge Mensch nicht folgen will.

J: Und so sind wir auch schon an einem dramatischen Punkt angelangt, meine Damen. Die Verfechter der alten Linie wollen diese mit noch mehr Technik und Energieeinsatz, mit noch schneller, noch höher und weiter, also ganz banal, mit noch mehr Mehr aufrechterhalten, was allerdings gerade die jungen Leute zunehmend weniger überzeugt. Man kann sie nicht überzeugen, denn das nicht mehr übersehbare Schadenspotenzial der alten Linie lässt sie nicht nur zweifeln, sondern auch revoltieren.

H: Gott sei Dank hat die heutige Jugend genügend Rückgrat, um gegen das alte Denken anzugehen. Und sie hat auch den Kopf, um zu erkennen, was erforderlich ist, damit sie in eine möglichst lastenfreie Zukunft gehen kann.

M: Und so sind wir wieder bei dem Drama, dem dramatischen Punkt, den Jörg gerade angesprochen hat. Denn die jungen Leute haben verständlicherweise Schwierigkeiten, den Weg in die Zukunft im Detail zu formulieren. Gleichzeitig hat der moderne Mensch keinen Zugang zum instinktiven Denken und Handeln seiner Jugend. Und die Hardliner unter den Vertretern der alten Linie stellen die revoltierenden jungen Leute kurzerhand, ja geradezu dümmlich, als Terroristen hin.

J: Ja, ihr zwei, in unserem Land und in der übrigen modernen Welt beginnt ein Vulkan zu rumoren und es ist höchste Zeit, dass man das mit kühlem Kopf ins Auge fast und einsieht, dass das Fehldenken und Fehlverhalten in Wahrheit bei der vorletzten Generation angesiedelt ist.

Guggera

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