50.000 Tonnen rostige Nägel

Roland Greissl

Roland Greissl

Eine Glosse von Roland Greißl

Achtlos wiege ich den rostigen Nagel in der Hand. Ich will ihn gerade in meine Box für das Metall-Recycling werfen – da halte ich inne. Denn eine innere Stimme fragt mich:

„Was tust du da? Mit einem rostigen Nagel in der einen, einer leeren Dose und einem Stück Alufolie in der anderen Hand? Willst du damit die Welt retten?“

„Ja“, erwidere ich meiner inneren Stimme. „Wenn das alle machen …“

Betont tief und hämisch beginnt die Stimme zu lachen. Alles in mir vibriert, das Gelächter geht mir durch Mark und Bein.

„Alles, was du in der Hand hältst“, belehrt mich die Stimme, „wiegt vielleicht 15 Gramm …“

„Na und, gebe ich trotzig zurück, rechne das mal hoch, wenn jeder …“

Die hartnäckige Stimme winkt ab. Dann folgt eine höhnische Belehrung.

„So hoch kannst du gar nicht rechnen. Kann kein Taschenrechner rechnen. Also: Am 13. Januar ist vor der Insel Giglio in Italien das Kreuzfahrtschiff »Costa Concordia« mit einem Felsen havariert und liegt nach wie vor mit Schlagseite vor Ort. 290 Meter ist es lang, 36 Meter breit – und es wiegt nicht weniger als 50.000 Tonnen (gut, die 114.000 Tonnen aus manchen Meldungen sind überzogen).“

„Und was, bitte, hat das mit meinem rostigen Nagel zu tun?

„Ganz einfach: Wegen der schwierigen (und immens teuren!) Bergung dieses Ozeanriesen war die erste Überlegung des Unternehmens Costa, das Schiff im Meer zu versenken und damit vielen Tierarten ein neues großzügiges Zuhause zu schenken.“

„Wie bitte? 50.000 Tonnen Stahl – einfach im Meer versenken? Wenn ich da hochrechne, wie viele rostige Nägel in dem Koloss stecken …“

„Dazu reicht kein Taschenrechner aus, sage ich ja. Aber das ist noch nicht alles …“

„Schieß los!“, bedeute ich der Stimme, etwas resigniert, „bin auf alles gefasst!“

„Zum einen“, meint das hartnäckige Alter Ego, „recycelt keine Nation der Welt so konsequent und hartnäckig wie die Deutschen …“ Ich schlucke, wird wohl stimmen.

„Zum anderen recyceln wir rostige Nägel, Schrauben, Dosen, mal ein Blech, ein altes Fahrrad usw. Größeres wie Autos bringen wir schon ins Ausland, sollen die sich doch die Finger schmutzig machen und das Zeug zerteilen.“

„Gut so, dann haben die auch Arbeit, und für uns kommt das Recycling viel billiger …“ Doch mein Einwand findet keine Gnade.

„Und wer zerteilt unsere Autos, Busse, Lastwagen, Panzer, Flugzeuge, Schiffe? Oft sind es Kinder in Indien, China, Afrika, die auf diese Weise etwas zum Einkommen ihrer Familien beitragen – mit Gasbrennern, ohne jeden Schutz. Zigtausende erkranken unheilbar.“

Entsetzt lasse ich den Nagel, die Dose und die Alufolie fallen.

„Ja dann, dann, dann sollten, ja müssten wir das Metall-Recycling verbieten …!“

„Nein“, beschwichtigt die Stimme. „Solche Metalle werden auch in Deutschland vollautomatisch eingeschmolzen und wiederverwertet. Es geht um was Anderes.“ Resigniert werde ich nun völlig passiv. „Bitte, erklär’s mir. Ich bin für alles offen.“

„Es geht um eine ganz einfache Rechnung: Wie viele 50.000-Tonnen-Kreuzfahrtschiffe, Lastwagen, Panzer und Flugzeuge geben die Rohstoffe unserer Erde noch her, bevor die großen Lager restlos ausgebeutet sind? Brauchen wir wirklich immer mehr Startbahnen, noch mehr Flugzeuge und immer größere Kreuzfahrtschiffe, um den Freizeitwahn unserer Mitmenschen zu befriedigen? Um schnell mal in die Dom Rep und zurück zu fliegen, all inclusive natürlich …? Den Sprit und die CO2-Umweltbelastung habe ich noch gar nicht mitgerechnet …“

Ich antworte der widerlichen inneren Stimme nicht mehr. Meine 15 Gramm bringe ich auf den Wertstoffhof. Ich brauche ja bald neue Felgen für mein Auto. Denn meinen nächsten Urlaub verbringe ich im Bayerischen Wald.

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